Dmexco 2019: Eine Branche im Umbruch
Die gute Nachricht gleich zu Beginn. Laut Auskunft der Kölnmesse hat man fast die 1.000 Aussteller und 40.000 Besucher geschafft. Das ist genauso gut wie im Vorjahr und das war auch das erklärte Ziel. Messechef Gerald Böse sagte vor der Messe: „Wir sind auch mit etwas weniger Besuchern zufrieden, wenn es die richtigen sind“.
Und das deckt sich präzise mit den Erkenntnissen zweier Aussteller. Sebastian Hamann, einer der Gründer von Shopware, freute sich über sehr viel Zulauf. Svenja Heitmann von der Otto-Group Media ist mit der Frequenz auf dem Stand zufrieden, gleichzeitig freut sie sich über „sehr intensive“ Gespräche.
Am ersten Tag der Messe war es so voll wie üblich. Am Donnerstag war es dann deutlich leerer in den Gängen. Das erlaubte den Besuchern, entspannt durch den neuen Future Park zu schlendern. Die Startup-Area war strategisch gut vor der Hauptkongressbühne platziert und bot den Messebesuchern allerhand Innovationen und Inspiration. Das hatte man in den letzten Jahren etwas vermisst.
Auch die Wiederbelebung der Agency-Lounge sorgte für volle Gänge und vor der Demo-Area, auf der Software im Live-Einsatz vorgeführt wurde, standen die Besucher häufig Schlange. Neu war auch das digitale Leitsystem über große Monitore zwischen den Hallen. Sie sind ein sichtbares Ergebnis der Kooperation der Kölnmesse mit Samsung.
Nur die neue DMexco-App muss im Netz einiges an Kritik aushalten. Die Bewertungen liegen bei 2,5 für die Apple-Welt und die Android-Nutzer sind noch kritischer: 1,7 von 5 Sternen. Die meisten Kritiker bemängeln die Zwangsinstallation, denn nur über die App ist das Ticket zu erhalten. Das ist zwar gut gemeint, aber nicht konsequent zu Ende gedacht: Der Fahrschein für öffentliche Verkehrsmittel muss auf A4 ausgedruckt vorliegen. Aber das liegt natürlich nicht in der Hoheit der Messe.
Was unterdessen durchaus in den Händen der Entwickler lag, war der Umgang mit Daten und Berechtigungen. Die App begrüßte den User unmittelbar nach der Installation mit der freundlichen Frage, ob sie denn auf die Telefonkontakte zugreifen dürfe. Dahinter steckt eine sinnvolle Chat-Funktion, aber das hätte man dem User sicher auch gefühlvoller nahe bringen können. „Datenkrake“ lautet bei den Bewertungen der App der gängige Vorwurf. Und das, wo die Messe doch das Thema Vertrauen zum Leitmotiv auserkoren hatte.
Auch die Konferenz wurde um zwei weitere Formate ausgeweitet und bietet eine Inhaltsdichte, die ihresgleichen sucht, vor allem bei einem Preis von 140 Euro. Sie muss den Spagat leisten zwischen den Besuchern, die eher an prominenten Speakern oder an Basics interessiert sind und denen, die tief in die einzelnen Fachdisziplinen einsteigen wollen. Und das gelingt.
Auf der Hauptbühne blieb die Mehrzahl der Inhalte vorhersehbar. Carlotte Roche freut sich über die neue Intimität bei Podcasts. Jimmy Wales macht sich Sorgen um den Journalismus, Kai Diekmann findet in Amerika sowieso alles besser und Promi-Investor Roger McNamee warnt vor der weiter wachsenden Macht der GAFA. Stephanie Buscemi, die Chefin von Salesforce, eröffnete die Veranstaltung und thematisierte die steigende Bedeutung von Markenvertrauen. Das sei auch eine Chance, nicht nur ein Risiko, denn mit stringenter Markenkommunikation und sinnvollem Targeting kann man Vertrauen aufbauen.
Sekundiert wurde Buscemi ausgerechnet von Wettbewerber Adobe. Die hatten am Vortag eine Studie veröffentlicht, die besagt, dass die Mehrzahl aller User durchaus grundsätzlich bereit wären., Daten mit Unternehmen zu teilen, aber nur rund ein Viertel machen sich keine Sorgen über eventuellen Datenmissbrauch.
Und die Studie erbrachte noch ein spannendes Ergebnis: „Die User reagieren sehr negativ, wenn eine Marke in Umfeldern wirbt, die ihren Interessen und Wertevorstellungen nicht entspricht. Das geht bis zum Boykott der Marke“ sagt Christoph Kull, der deutsche Geschäftsführer von Adobe. Tatsächlich hatten die Marktforscher gefragt, ob es einer Marke schadet, wenn sie im Umfeld von terroristischen, rassistischen oder sonst wie anstößigen Inhalten erscheint. Bad Neighborhood, nennt das die Branche.
Und das ist aus professioneller Sicht vermutlich das wichtigste Ergebnis der diesjährigen DMexco. Ja, es fehlt an Vertrauen, aber vor allem fehlt es an Transparenz. Der User hat zu wenig Einblick und Kontrolle in die Verbwendung seiner Daten und der Werbungtreibende in die Verwendung seines Geldes. Das Thema Fraud, also Betrug, ist in allen Disziplinen angekommen. Die Forscher von Appsflyer haben herausgefunden, dass bis zu 70 Prozent aller Klicks auf Installationswerbung für Apps im Finanzwesen, nicht von Menschen kommen. Das komplette Segment Influencer-Marketing sieht sich eine Debatte um gefälschte Reichweiten ausgesetzt und bei der Bannerwerbung wird heftig über Invalid Traffic diskutiert, also entweder Traffic von Bots oder Banner, die so ausgespielt werden, dass sie nie jemand sieht. „Es fehlen die Standards, wie wir das beim Video-Advertising bereits gut voran gebracht haben“, bekennt Björn Kaspring, Vorstandsvorsitzender der AGOF. Und er nimmt seinen Verband da nicht aus: „Die AGOF ist schon in der Pflicht, den Marktteilnehmern zu helfen“.
Unterdessen sind die Fronten zwischen den Werbungtreibenden und den Vermarktern bzw. Publishern ziemlich verhärtet. Der OWM in Person seines Vorstandsmitglieds Arne Kirchem verlangt, dass er garantiert sauberen Traffic bekommt. Julian Simons von Mediascale antwortet, dass das nur ginge, wenn Kirchem bereit wäre, mehr zu bezahlen. Man könnte das als normales Handelsgebahren verstehen, wenn es nicht eine kritische Konsequenz hätte. Beide, sowohl die Großmarken vor allem bei schnelldrehenden Konsumgütern als auch die Mediaagenturen können oder wollen es sich stand heute nicht leisten, auf den Teil der Reichweite zu verzichten, der entweder nicht transparent ist, wie bei Facebook und Google oder wo mehr Fraud festgestellt wird (Osteuropa und Asien).
Dadurch bleiben Budgets im Markt, die Fraud alimentieren und die natürlich Facebook und Google noch stärker machen. Einig sind sich die Marktteilnehmer im Advertising nur darin, dass man endlich mit aller Härte des Gesetzes gegen Betrüger vorgehen sollte. „Ein Präzedenzfall würde schon Abschreckung erzeugen“, meint Kirchem. Allerdings mahlen die juristischen Mühlen zu langsam, den Richtern fehlt es an Kompetenz und oft sind die Hintermänner der hochprofessionellen Betrugsorganisationen gar nicht so einfach zu ermitteln.
Google, Facebook und Amazon schauen belustigt zu, wie es der deutschen Publisher-Landschaft nicht gelingt, marktrelevante Allianzen zu schmieden um mit gemeinsamen Datenpools den Werbungtreibenden verlockende Angebote zu machen. Gerade ist mit D-Force, einer Vermarktungsallianz von ProSiebenSat1 und RTL, ein neuer Player im Markt entstanden.
Und Google schaut nicht nur zu. In einem Nebensatz ließ Europachef Matt Brittin eine kleine Bombe platzen: „Wir werden in Zukunft mehr mit weniger Daten machen“. Das klingt nach white-washing, hat aber einen für die Branche gravierenden Kern: Google setzt in Zukunft verstärkt auf Umfeld- und Behavioral-Signale. Tracking-Daten also, die bislang nicht im Fokus des Datenschutzes liegen. Und das kann eben nur Google, weil nur dieses Unternehmen so umfassend in die Lebenswelten der User integriert ist, dass die abgeleiteten Profile eine gute, vermarktbare Qualität bekommen. Und der Datenschutz und die Politik werden das als Sieg feiern: Man hat die Datenkrake zur Demut gezwungen.
Nach Jahren der blühenden Euphorie befindet sich die digitale Marketingbranche im Umbruch. Agenturen kaufen einander, technische Innovationen werden weniger und der Kampf um Marktanteile härter. Außerdem hat die KI-Debatte des letzten Jahres viel Sorgen in die Köpfe der Menschen gepflanzt und das spiegelt sich in mangelndem Markenvertrauen wieder.
Natürlich geht das auch an einer Leitmesse wie der DMexco nicht spurlos vorbei. Aber genau hier ist der Platz für ernsthafte und tiefgehende Diskussionen über die Herausforderungen der Digitalisierung. Da braucht es keinen HipHop wie in Hamburg (OMR) oder Oktoberfest wie in München Bits&Pretzels). Das funktioniert schon ziemlich gut und verlässlich am Rhein. Und die Konferenz ist in Deutschland unschlagbar.
Ich werde mich im September 2020 wieder in den Kölner Messehallen rumdrücken.
Und das deckt sich präzise mit den Erkenntnissen zweier Aussteller. Sebastian Hamann, einer der Gründer von Shopware, freute sich über sehr viel Zulauf. Svenja Heitmann von der Otto-Group Media ist mit der Frequenz auf dem Stand zufrieden, gleichzeitig freut sie sich über „sehr intensive“ Gespräche.
Neue Konzeptideen
Am ersten Tag der Messe war es so voll wie üblich. Am Donnerstag war es dann deutlich leerer in den Gängen. Das erlaubte den Besuchern, entspannt durch den neuen Future Park zu schlendern. Die Startup-Area war strategisch gut vor der Hauptkongressbühne platziert und bot den Messebesuchern allerhand Innovationen und Inspiration. Das hatte man in den letzten Jahren etwas vermisst.
Auch die Wiederbelebung der Agency-Lounge sorgte für volle Gänge und vor der Demo-Area, auf der Software im Live-Einsatz vorgeführt wurde, standen die Besucher häufig Schlange. Neu war auch das digitale Leitsystem über große Monitore zwischen den Hallen. Sie sind ein sichtbares Ergebnis der Kooperation der Kölnmesse mit Samsung.
Nur die neue DMexco-App muss im Netz einiges an Kritik aushalten. Die Bewertungen liegen bei 2,5 für die Apple-Welt und die Android-Nutzer sind noch kritischer: 1,7 von 5 Sternen. Die meisten Kritiker bemängeln die Zwangsinstallation, denn nur über die App ist das Ticket zu erhalten. Das ist zwar gut gemeint, aber nicht konsequent zu Ende gedacht: Der Fahrschein für öffentliche Verkehrsmittel muss auf A4 ausgedruckt vorliegen. Aber das liegt natürlich nicht in der Hoheit der Messe.
Was unterdessen durchaus in den Händen der Entwickler lag, war der Umgang mit Daten und Berechtigungen. Die App begrüßte den User unmittelbar nach der Installation mit der freundlichen Frage, ob sie denn auf die Telefonkontakte zugreifen dürfe. Dahinter steckt eine sinnvolle Chat-Funktion, aber das hätte man dem User sicher auch gefühlvoller nahe bringen können. „Datenkrake“ lautet bei den Bewertungen der App der gängige Vorwurf. Und das, wo die Messe doch das Thema Vertrauen zum Leitmotiv auserkoren hatte.
Spannende Inhalte
Auch die Konferenz wurde um zwei weitere Formate ausgeweitet und bietet eine Inhaltsdichte, die ihresgleichen sucht, vor allem bei einem Preis von 140 Euro. Sie muss den Spagat leisten zwischen den Besuchern, die eher an prominenten Speakern oder an Basics interessiert sind und denen, die tief in die einzelnen Fachdisziplinen einsteigen wollen. Und das gelingt.
Auf der Hauptbühne blieb die Mehrzahl der Inhalte vorhersehbar. Carlotte Roche freut sich über die neue Intimität bei Podcasts. Jimmy Wales macht sich Sorgen um den Journalismus, Kai Diekmann findet in Amerika sowieso alles besser und Promi-Investor Roger McNamee warnt vor der weiter wachsenden Macht der GAFA. Stephanie Buscemi, die Chefin von Salesforce, eröffnete die Veranstaltung und thematisierte die steigende Bedeutung von Markenvertrauen. Das sei auch eine Chance, nicht nur ein Risiko, denn mit stringenter Markenkommunikation und sinnvollem Targeting kann man Vertrauen aufbauen.
Sekundiert wurde Buscemi ausgerechnet von Wettbewerber Adobe. Die hatten am Vortag eine Studie veröffentlicht, die besagt, dass die Mehrzahl aller User durchaus grundsätzlich bereit wären., Daten mit Unternehmen zu teilen, aber nur rund ein Viertel machen sich keine Sorgen über eventuellen Datenmissbrauch.
Mangelnde Transparenz im Advertising
Und die Studie erbrachte noch ein spannendes Ergebnis: „Die User reagieren sehr negativ, wenn eine Marke in Umfeldern wirbt, die ihren Interessen und Wertevorstellungen nicht entspricht. Das geht bis zum Boykott der Marke“ sagt Christoph Kull, der deutsche Geschäftsführer von Adobe. Tatsächlich hatten die Marktforscher gefragt, ob es einer Marke schadet, wenn sie im Umfeld von terroristischen, rassistischen oder sonst wie anstößigen Inhalten erscheint. Bad Neighborhood, nennt das die Branche.
Und das ist aus professioneller Sicht vermutlich das wichtigste Ergebnis der diesjährigen DMexco. Ja, es fehlt an Vertrauen, aber vor allem fehlt es an Transparenz. Der User hat zu wenig Einblick und Kontrolle in die Verbwendung seiner Daten und der Werbungtreibende in die Verwendung seines Geldes. Das Thema Fraud, also Betrug, ist in allen Disziplinen angekommen. Die Forscher von Appsflyer haben herausgefunden, dass bis zu 70 Prozent aller Klicks auf Installationswerbung für Apps im Finanzwesen, nicht von Menschen kommen. Das komplette Segment Influencer-Marketing sieht sich eine Debatte um gefälschte Reichweiten ausgesetzt und bei der Bannerwerbung wird heftig über Invalid Traffic diskutiert, also entweder Traffic von Bots oder Banner, die so ausgespielt werden, dass sie nie jemand sieht. „Es fehlen die Standards, wie wir das beim Video-Advertising bereits gut voran gebracht haben“, bekennt Björn Kaspring, Vorstandsvorsitzender der AGOF. Und er nimmt seinen Verband da nicht aus: „Die AGOF ist schon in der Pflicht, den Marktteilnehmern zu helfen“.
Unterdessen sind die Fronten zwischen den Werbungtreibenden und den Vermarktern bzw. Publishern ziemlich verhärtet. Der OWM in Person seines Vorstandsmitglieds Arne Kirchem verlangt, dass er garantiert sauberen Traffic bekommt. Julian Simons von Mediascale antwortet, dass das nur ginge, wenn Kirchem bereit wäre, mehr zu bezahlen. Man könnte das als normales Handelsgebahren verstehen, wenn es nicht eine kritische Konsequenz hätte. Beide, sowohl die Großmarken vor allem bei schnelldrehenden Konsumgütern als auch die Mediaagenturen können oder wollen es sich stand heute nicht leisten, auf den Teil der Reichweite zu verzichten, der entweder nicht transparent ist, wie bei Facebook und Google oder wo mehr Fraud festgestellt wird (Osteuropa und Asien).
Dadurch bleiben Budgets im Markt, die Fraud alimentieren und die natürlich Facebook und Google noch stärker machen. Einig sind sich die Marktteilnehmer im Advertising nur darin, dass man endlich mit aller Härte des Gesetzes gegen Betrüger vorgehen sollte. „Ein Präzedenzfall würde schon Abschreckung erzeugen“, meint Kirchem. Allerdings mahlen die juristischen Mühlen zu langsam, den Richtern fehlt es an Kompetenz und oft sind die Hintermänner der hochprofessionellen Betrugsorganisationen gar nicht so einfach zu ermitteln.
Google, Facebook und Amazon schauen belustigt zu, wie es der deutschen Publisher-Landschaft nicht gelingt, marktrelevante Allianzen zu schmieden um mit gemeinsamen Datenpools den Werbungtreibenden verlockende Angebote zu machen. Gerade ist mit D-Force, einer Vermarktungsallianz von ProSiebenSat1 und RTL, ein neuer Player im Markt entstanden.
Und Google schaut nicht nur zu. In einem Nebensatz ließ Europachef Matt Brittin eine kleine Bombe platzen: „Wir werden in Zukunft mehr mit weniger Daten machen“. Das klingt nach white-washing, hat aber einen für die Branche gravierenden Kern: Google setzt in Zukunft verstärkt auf Umfeld- und Behavioral-Signale. Tracking-Daten also, die bislang nicht im Fokus des Datenschutzes liegen. Und das kann eben nur Google, weil nur dieses Unternehmen so umfassend in die Lebenswelten der User integriert ist, dass die abgeleiteten Profile eine gute, vermarktbare Qualität bekommen. Und der Datenschutz und die Politik werden das als Sieg feiern: Man hat die Datenkrake zur Demut gezwungen.
Fazit
Nach Jahren der blühenden Euphorie befindet sich die digitale Marketingbranche im Umbruch. Agenturen kaufen einander, technische Innovationen werden weniger und der Kampf um Marktanteile härter. Außerdem hat die KI-Debatte des letzten Jahres viel Sorgen in die Köpfe der Menschen gepflanzt und das spiegelt sich in mangelndem Markenvertrauen wieder.
Natürlich geht das auch an einer Leitmesse wie der DMexco nicht spurlos vorbei. Aber genau hier ist der Platz für ernsthafte und tiefgehende Diskussionen über die Herausforderungen der Digitalisierung. Da braucht es keinen HipHop wie in Hamburg (OMR) oder Oktoberfest wie in München Bits&Pretzels). Das funktioniert schon ziemlich gut und verlässlich am Rhein. Und die Konferenz ist in Deutschland unschlagbar.
Ich werde mich im September 2020 wieder in den Kölner Messehallen rumdrücken.