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Minding statt Marketing oder der einzig wahre Point of Sale

Ob online oder im Laden: Der wahre Punkt der Kaufentscheidung liegt im Kopf des Kunden. Daher ist "Minding" vielleicht treffender als "Marketing".
Michael Brandtner | 17.07.2024
© freepik / ImageFlow
 

Seit den 1950er und 1960er Jahren hat der Begriff Marketing die Welt des Managements erobert. Der amerikanische Marketingpapst Philip Kotler definiert den Begriff heute so: „„Marketing ist ein Prozess im Wirtschafts- und Sozialgefüge, durch den Einzelpersonen und Gruppen ihre Bedürfnisse und Wünsche befriedigen, indem sie Produkte und andere Dinge von Wert erstellen, anbieten und miteinander austauschen.“

 

Vom Market-ing zum …

Damit steht ganz klar der Markt im Zentrum des Denkens und Handelns. Es geht also, wenn man Marketing nicht nur als Funktion, sondern auch als eine Art Unternehmensphilosophie versteht, darum, dass man das Unternehmen aus Markt- und somit aus Kundensicht führt.

Nur damit stellt sich auch eine ganz andere Frage, nämlich diese: Wo ist dieser Markt? Wo wird wirklich entschieden, was, wann, wo und wie oft gekauft oder auch – im Sinne der obigen Definition – ausgetauscht wird?

Typische Antworten darauf in der Praxis sind aktuell:

„Unsere Kunden entscheiden heute immer öfter im Internet.“

„Haben sich unsere Kunden früher einen Einkaufszettel geschrieben, fällt heute die Entscheidung immer öfter erst direkt vor dem Regal.“

„Das Smartphone wird heute immer öfter zum Point-of-Sale Nr. 1.“

So ist es logisch, dass viele Marketer beim Begriff Markt vor allem und zuerst an einen konkreten Ort wie eine Einkaufsstraße, ein Geschäft, ein Einkaufszentrum, das Internet generell oder spezifischer an Smartphone, Tablet oder PC denken. Genau das passt auch zum Begriff Marketing, in dem das Wort „Market“ dominant vertreten ist.

 

… Mind-ing

Nur genau genommen, könnte so dieser Marketing-Begriff auch irreführend sein. Denn egal ob Sie heute in einem Geschäft vor Ort oder via Smartphone einkaufen, der wahre Punkt der Entscheidung ist in Ihrem Kopf. Nur und nur dort wird entschieden, was, wann, wo und wie oft gekauft wird. Nirgendwo sonst. Nur dort wird entschieden, ob Sie sich in die Einkaufsstraße begeben, oder doch lieber via Smartphone online bestellen.

So gesehen wäre Minding vielleicht sogar ein besserer Begriff als Marketing, um wirklich letztendlich erfolgreich am Markt zu bestehen. Dies zeigt sich vor allem auch bei Innovationen. So geht es nicht darum, wer als Erster eine Innovation am Markt lanciert, sondern es geht darum, wer als Erster eine neue Idee in der Wahrnehmung und im Gedächtnis der Kunden besitzt.

 

First-Mover versus First-Minder

Um besser zu verstehen, worum es dabei geht, sollten wir uns drei konkrete Beispiele ansehen:

Beispiel 1: Wenn wir heute an die Entdeckung Amerikas denken, dann denken wir in der Regel zuerst an Christoph Kolumbus und das Jahr 1492. Das wissen wir aus dem Geschichtsunterricht. Aber eigentlich waren es, wie wir heute wissen, die Wikinger. Diese landeten bereits um das Jahr 1.000 nach Christus als Erste in Amerika. Aber die Wikinger machten aus Marken- und Marketingsicht einen extrem schweren Fehler. Sie vergaßen die Geschichtsschreibung mitzunehmen. Heute würden wir sagen, sie vergaßen auf analoge und digitale PR und Werbung. Nur erst damit war der Weg für Christoph Kolumbus frei, um offiziell die Neue Welt zu entdecken. Er hatte die spanische Geschichtsschreibung mit an Bord.

 

Beispiel 2: Wenn wir heute an den ersten echten MP3-Player (mit Harddisc) denken, dann denken wir in der Regel an den iPod von Apple. De facto aber war nicht der iPod der erste MP3-Player mit Harddisc am Markt. Das war vielmehr die Creative Nomad Jukebox von Creative Technology. Diese wurde bereits 21 Monate vor dem iPod am Markt eingeführt. Aber alleine der Name war Garantie dafür, dass man nie wirklich mental auffiel und abgespeichert wurde. So besetzte der iPod dank Steve Jobs und dem brillanten Slogan „1,000 songs in your pocket“ als erste Marke diese Position in der Wahrnehmung der Öffentlichkeit und der Kunden.

 

Beispiel 3: Wenn wir heute an die führende Elektroautomarke denken, dann denken wir in der Regel zuerst an Tesla. Dabei war der Nissan Leaf über Jahre das meistverkaufte Elektroauto dieser Erde. Nur auch hier half diese tatsächliche Marktführerschaft auf dem Papier wenig, weil – wenn überhaupt – wurde der Nissan Leaf maximal als weiteres Modell von Nissan wahrgenommen. Damit war auch hier der Weg für Elon Musk und Tesla frei, um als Vorreiter und Marktführer wahrgenommen zu werden.

So gesehen sollten wir auch neu über den berühmten First-Mover-Advantage denken. Denn wirklich entscheidend ist nicht, wer der First-Mover auf dem Markt war, sondern wer der First-Minder war, wer also als Erster in der Wahrnehmung und im Gedächtnis der Kunden punktete. So gesehen wäre auch hier First-Minder-Advantage der vielleicht bessere Begriff.

 

Zuerst MIND, dann MARKET

Auch wenn das Wort „Market“ im Wort Marketing omnipräsent ist, sollte man nie vergessen, dass der wahre Punkt der Entscheidung nur und nur in den Köpfen der Kunden liegt. Das heißt aber auch: Wenn Sie heute den Wettbewerb um Marktanteil, um Umsatz und Gewinn gewinnen möchten, müssen Sie de facto zuerst den mentalen Kampf um die Kunden gewinnen. Damit ist Marketing auch heute sehr viel mehr ein Kampf der Ideen als ein Kampf der Produkte oder Dienstleistungen. Denn das beste Produkt und die beste Dienstleistung nutzen wenig, wenn man nur als ein weiterer Anbieter unter vielen wahrgenommen wird. Zwei Fragen dazu:

(1) Besitzt Ihre Marke heute die stärkst-mögliche Idee in der Wahrnehmung und im Gedächtnis der Kunden?

(2) Wird diese Idee bestmöglich in allen relevanten Touchpoints, egal ob Produkt, Dienstleistung, Vertriebsweg oder auch Kommunikation umgesetzt?

Die Antworten auf diese Fragen entscheiden heute, ob man zu den Siegern oder zu den Verlierern gehört. So einfach in der Theorie. Oft so schwer in der Praxis.

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Michael Brandtner ist Berater für strategische Positionierung, Partner of Ries Global und Autor des Buches „Markenpositionierung im 21. Jahrhundert“.