Das Comeback der Silos
Die Automatisierung des Marketings schreitet nicht nur voran, sie ist inzwischen eine Selbstverständlichkeit. Daten sind Basis für einen Großteil der Marketingentscheidungen und zugleich ein immer schwieriger zu erreichendes Gut. Das liegt nicht nur an Cookie-Bannern und DSGVO, ein entscheidendes Problem sind die Walled Gardens: Immer mehr für das Marketing zentrale Kanäle liegen in den Händen weniger großer Unternehmen, und die wachen eifersüchtig über die Datenhoheit. Zuletzt hatte Apple mit dem App Tracking Transparency Framework (ATT) das Tracking über die IDFA in iOS erschwert. Und Daten, die von Facebook gesammelt und kommuniziert werden, sind mit Sicherheit diskussionswürdig.
Lange hat man gegen Silos gepredigt und gefordert, dass Abteilungen innerhalb eines Unternehmens eine Sprache sprechen, um eine widerspruchsfreie Datenbasis für das Unternehmen zu erreichen. Dafür wird gern das Beispiel des Umsatzes genommen, der traditionell von der BI netto nach, vom Onlinemarketing aber meist vor Retouren berechnet wird. Wenn beides unbesehen in einer Datenbasis zusammengeführt wird, sind die Folgen für die Bewertung der Daten katastrophal.
Das ist innerhalb eines Unternehmens oft schon schwer genug. Was aber, wenn die Daten aus Walled Gardens zusammengeführt werden müssen? Wer garantiert, dass diese widerspruchsfrei sind? Sind die notwendigen Daten überhaupt erhältlich? Nach welchen Kriterien werden sie erfasst, und wie entscheidet der Anbieter, wieviel wovon an wen kommuniziert wird?
Mit Fachkenntnis gegen die Intransparenz
Weil in vielen Walled Gardens die Grundeinstellungen der Datenerfassung so intransparent sind, sich jedoch grundsätzlich – soweit sie überhaupt bekannt sind – von anderen Walled Gardens unterscheiden, benötigen Unternehmen viele Spezialisten: Sie müssen die Datenstruktur und die Art ihrer Erfassung innerhalb der einzelnen Walled Gardens präzise kennen, und konsequent der eigenen Datenbasis zuordnen. Gefragt sind also Fachkräfte, die sich in beiden Systemen, dem des Walled Garden mit seinen Bezeichnungen ebenso wie dem des Unternehmens, seiner Datenbasis und -sprache auskennen.
Doch auch wenn Unternehmen solche gut ausgebildeten Mitarbeiter mit einem Verständnis für diese Datenstrukturen in ihren Reihen haben, bedeutet das noch lange nicht, dass diese alle notwendigen Informationen erhalten. Denn die Walled Gardens sitzen auf ihren Daten und teilen diese nur selektiv mit ihren Business-Kunden.
Jeder Walled Garden kostet Zeit und Geld, und es werden immer mehr: Social Media verteilt sich heute auf verschiedene Walled Gardens und jeder davon ist ein eigener Kanal, der Spezialwissen erfordert. Deswegen sollten Marketers gleich zu Beginn definieren, welche Kanäle sie für relevant halten und welche Daten sie benötigen. Wo erwarten sie, ihre Kunden zu erreichen? Welche versprechen den höchsten Profit? Unrentable Kanäle sollten früh ausgeschlossen werden. Daten, da sie präzise definiert werden müssen, verursachen Arbeit und sollten deshalb nicht unkontrolliert angehäuft werden.
Identifikation des unsichtbaren Kunden
Ein Endkunde beschließt, innerhalb einer Social Media App zu shoppen. Er entscheidet sich für ein bestimmtes Produkt aus einer bestimmten Linie, kauft, zahlt – und der Social Media-Anbieter teilt dem zugehörigen Unternehmen alle zulässigen Informationen ab der Produktauswahl aus der Linie des Unternehmens mit. Farbauswahl, Größenselektion, vielleicht zwei weitere Produkte zum Vergleich, bevorzugte Zahlweise – all das sind wertvolle Informationen.
Doch auf welchem Weg der Kunde zu dem Produkt kam, alles, was vor dem Klick auf das Produkt stattfand, das erfährt das Unternehmen nur bedingt, es sei denn, der Kunde reagierte direkt auf eine Kampagne innerhalb desselben Social Media-Kanals. Hier gehen wertvolle Informationen zur Customer Journey verloren. Also weniger Daten bei geringerer Transparenz, und das, obwohl das Unternehmen für diese Information womöglich sogar mehr Geld zahlt, als zuvor ohne die Walled Gardens nötig gewesen wäre.
Von der Identifikation des Kunden hängt in Walled Gardens die Wertigkeit der Kundendaten ab. Denn nur über einen Identifier – oft die Email-Adresse – können Daten aus den unterschiedlichen Kanälen zusammengeführt werden. Und das meint bei Walled Gardens jeden einzelnen Garten, Google ebenso wie Facebook, Apple wie TikTok wie … Jeder Walled Garden ist ein eigener Kanal, und solange sich der Kunde nicht zu erkennen gibt, erhält man keine Daten, erst recht keine zusammenführbaren.
Anreize bieten und Vertrauen schaffen
Es gilt also, Anreize für den Kunden zu schaffen, sich frühzeitig zu erkennen zu geben – sich vielleicht schon zu Beginn einzuloggen. Vorteilsprogramme, aber auch eine danach ausgerichtete Usability können helfen: Wer das Registrieren vereinfacht und dazu auffordert oder aber den Logout unbequemer macht, und sei es nur, weil die Sichtbarkeit mancher Angebote beim Wiedereinloggen dann einen weiteren Schritt bedeutet, der wird vom Kunden mehr Daten erhalten.
Zugleich muss sich der Werbetreibende das Vertrauen des Kunden, dass seine Daten in guten Händen sind, verdienen: Trust – Vertrauen – ist hier von fundamentaler Bedeutung. Angebote wie das von Facebook, sich selbst als Datenplattform für die Firmenkundendaten anzudienen, sollten daher mit Skepsis betrachtet werden: Der Datenschutz ist – auch im Sinne des Trust Buildings – ein hohes Gut und der verantwortungsvolle Umgang mit Kundendaten sollte oberste Priorität haben.
Da, wo Daten vorliegen, der Kunde sich aber nicht identifiziert hat, gilt es, sich solcher Hilfsmittel wie der der Bewertung nicht zuordnungsfähiger Daten zu bedienen. Muster können Kundengruppen zugeordnet werden, müssen dafür aber zuvor identifiziert werden. Geräteinformationen, Sortimentsauswahl in der Recherche und Betrachtung, Uhrzeiten: Jede Information, die zur Erkennung eines Verhaltens- oder Interessensmuster vorliegt, kann dazu beitragen, dem unsichtbaren Besucher näher zu kommen und ihn zumindest einer Kundengruppe zuzuordnen, sodass Informationen nicht verloren gehen.
Die Renaissance des CRM
Mit Walled Gardens und dem Verlust des unbeschwerten Cross-Channel, cookiebasierten Trackings gewinnt ein Thema wieder an Bedeutung, das noch vor Jahren von Webanalysten und Marketers eher müde belächelt wurde: das klassische CRM. Daten müssen punktgenau erbeten, gelesen und zusammengeführt werden, und je divergenter die Quellen sind, desto mehr Detailwissen erfordert der Vorgang. Customer-Data-Plattformen (CDP) ersetzen vielerorts die klassischen Datawarehouses und erleichtern damit die Automatisierung. Aber die vielen Kleinigkeiten, die früher automatisch mit gemessen wurden, von der Customer Journey bis zum App Setup des Mobiltelefons, die gehen verloren.
Der einzelne Kunde gewinnt damit an Bedeutung, die Digital Intelligence – ganz genau wie zuvor die Business Intelligence – muss sich wieder auf ihn konzentrieren. Und das sind mehr als nur Kundenbindungsprogramme, Couponing und Kampagnenmanagement: Der Kunde muss vertrauen – Trust ist ein Wert – und er nicht nur als Käufer, sondern auch wegen seiner Daten König.
Vielleicht ist damit das Credo des Onlinemarketings, den Kunden in den Mittelpunkt zu stellen, unfreiwillig Wirklichkeit geworden, und aus dem Schlagwort Customer Centricity wird heute erstmals Realität.