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Visual Storytelling – ein Kinderspiel?

Über 300 Stunden frisches Videomaterial jede Minute bei Youtube. Doch nur wer die Regeln kennt, gehört zu den Gewinnern.
Werner T. Fuchs | 16.05.2022
Visual Storytelling – ein Kinderspiel? © Werner T. Fuchs
 

Seit das Produzieren von stehenden und bewegten Bildern kinderleicht geworden ist, hat sich der Glaube noch verfestigt, Qualität sei Geschmackssache. Aus der Welt schaffen lässt sich dieser verhängnisvolle Irrtum allerdings nur schwer, solange sich mit persönlichem Geschmack so ziemlich alles legitimieren lässt, was mit Wahrnehmung zu tun hat. Doch Hirnforscher mit ihren Hightech-Geräten verbannen „Gefällt mir-Urteile“ inzwischen ins Reich der Wunschträume. Es sei denn eine persönliche Meinung decke sich dem Ergebnis der neuronalen Datenverarbeitung.

Bekannte Erfolgsfaktoren Ade?

Einem Buzzword fällt oft die Aufgabe zu, alten Wein in neue Schläuche abzufüllen. Oder Ladenhüter mit attraktiveren Etiketten mehr Aufmerksamkeit zu schenken. Das ist bei Visual Storytelling ebenfalls so. Zumindest wenn es um Gesetze der Wahrnehmungspsychologie geht. Denn wer die schon verinnerlicht hat, wird bei seinen Beurteilungen weiterhin eine hohe Trefferquote erzielen. Nur kann er seine intuitiv getroffenen Urteile ohne Analyseinstrument kaum begründen und schlecht verkaufen. Hat er aber ein solches in der Hand, kann er intern und extern besser erklären, welche Qualitätsmerkmale gute Fotos, Zeichnungen, Grafiken und Bewegtbilder erfüllen müssen. Eine Eigenschaft, die im Digital-Marketing zu den neuen Erfolgsfaktoren gehört.

Glaubenssätze annehmen

Merkmale à la Ratgeberliteratur in diesem Falle gleich preiszugeben, wäre etwa so sinnvoll wie beim Schenken einer Modelleisenbahn mit der teuren Ergänzungspackung zu beginnen. Zumal dies den Rahmen dieses Artikels sprengen würde. Weil das Fundament für gelingendes Visual Storytelling mit dem Annehmen von Glaubenssätzen beginnt, muss für die wichtigsten nun Platz sein. Es sind diese:

  • Wahrnehmung passiert hinter den Kulissen und ist das Ergebnis komplexer Vorgänge, die dem Bewusstsein meist nicht zugänglich sind. Grund: Schon die Datenmenge eines einzigen Bildes ist so groß, dass die Evolution ihre Verarbeitung automatisiert hat und ihre Verarbeitung automatisiert
  • Wie das menschliche Gehirn Stimuli der Außenwelt in bewusste sensorische Erfahrungen verwandelt, erfolgt nach weitgehend bekannten Regeln. Grund: Das Befolgen überzeitlicher und überregionaler Regeln spart Energie und ist ein Wettbewerbsvorteil.
  • Unbewusst bringen wir auch erworbenes Wissen in den Wahrnehmungsprozess ein. Grund: Eine wissensbasierte Verarbeitung beschleunigt die Kategorisierung von Objekten.
  • Ein Bild ist dann gut, wenn es die Zeichen so auswählt und arrangiert, dass sie vom Publikum schnell verstanden werden, Interesse wecken und mit den bisherigen Erfahrungswelten kompatibel sind. Grund: Ethisch moralische Bewertungen erfolgen später und auf einer anderen Ebene.

Tipps für die praktische Umsetzung

  • Da hochwertige Fotos und bewegte Bilder eine nachweisbar hohe Wirkungskraft haben, lohnt es sich, die Budgets für visuelle Inhalte zu erhöhen. Selbst in den sozialen Medien gewinnt bei vergleichbaren Motiven das qualitativ bessere Bild.
  • Bei der Auswahl von Fotografen, Filmemachern, Graficdesignern und Agenturen ist es durchaus erlaubt, die Produzenten visueller Geschichten eigene Arbeiten analysieren zu lassen. Erfolgt dies nach einem System, das sich nicht vermitteln lässt und die visuellen Codes nicht miteinzieht, ist von einem Engagement abzusehen.
  • Alles, was auf einem Bild fehlt, obwohl wir es erwarten, erzählt ebenfalls eine Geschichte. Diese muss zur derjenigen passen, die wir sehen. Storytelling ist auch die Kunst des Weglassens. Wie mache ich den Betrachter zum Komplizen meiner Strategie? Welche fehlenden Puzzlesteine darf ich seiner Fantasie überlassen?
  • Das Framing, also der Rahmen eines Bildes, beeinflusst dessen Wahrnehmung und Interpretation ebenfalls. Es lohnt sich auf einen passenden Rahmen zu achten. Er kann auch die Richtung individueller Assoziationen oder das Interesse des Zielpublikums beeinflussen.
  • Eine Checkliste zur Analyse und Qualitätssicherung sollte ein möglichst weit entferntes Verfallsdatum haben. Denn eines der Erfolgsrezepte der Evolution lautet: "Ändern, nur wenn nötig.“

Was den Erfolg gefährdet

Jede Wiederbelebung des Beurteilungskriteriums „Persönlicher Geschmack“ bringt das Projekt „Visual Storytelling“ in Gefahr. Auch der völlige Verzicht auf ein Monitoring ist nicht ratsam. Die Einbindung von Tracking-Codes ist zwar nicht das ultimative Heilsrezept, kann aber den Einsatz der gewählten Checkliste legitimieren oder zu sinnvollen Nachbesserungen führen. Auch bei diesem Punkt spricht der Verfasser aus Erfahrung, basiert doch jede Überarbeitung seines Storychecks auf Rückmeldungen von Kunden und digitalem Monitoring. Trotz allen Warnungen muss ich gestehen: Ganz unwichtig ist der persönliche Geschmack natürlich nicht. Zumindest in der Rubrik Humor und Spaß an der Arbeit.

 

 

Das aktuelle Buch des Autors

Werner T. Fuchs: Crashkurs Storytelling

Haufe Lexware 2021, 3. Auflage, 216 S., 24,95 €, ISBN 978-3648150207

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Dr. Werner T. Fuchs studierte Germanistik und Theologie. Er lebt in Zug, ist Inhaber von Propeller Marketingdesign, Autor und Neuromarketing-Experte.