Mit Gamification Customer-Lifetime-Value erhöhen
Spätestens seit 2012, mit der ersten großen Trendwelle rund um das Thema Gamification, hat sich ein – fast schon gefährliches Halbwissen – rund um Gamification gebildet. In der Regel verbindet man mit Gamification den Einsatz von Punkten, Badges, Ranglisten, Fortschrittsanzeigen, kleine Mini-Games und Ähnliches. Bitte vergessen Sie das alles. Wenigstens für den Zeitraum dieses Artikels.
Natürlich können Sie diese Elemente bzw. auch Mini-Games einsetzen. Wahrscheinlich können Sie damit auch die ein oder andere Aktivität verbessern. Aber verfallen Sie bitte dann nicht dem Irrtum, dass Sie nun etwas geschaffen haben, das auch nur irgendwie in Richtung dessen geht, was man eigentlich mit dem Einsatz von Gamification bezwecken möchte: Nämlich dass der Nutzer freiwillig, weil mit Freude, etwas weitermacht. Sei es nun ein Kunde zu sein, eine Software zu nutzen, eine Aktivität auszuführen usw.
Der Weg ist das Ziel
Noch nie hat jemand von Ihnen ein Spiel gerne gespielt, weil er Punkte erhält, damit er es spielt. Ein unattraktives Spiel wird nicht plötzlich attraktiv, weil Sie Punkte erhalten. Richtig? Ein unattraktives Spiel verführt nicht plötzlich zum langen Spielen, nur weil Sie auf einer Rangliste hochklettern. Oder? Das Fesselndste im Spiel ist noch nicht mal der Sieg am Ende (denn dafür dauert es zu lange, dorthin zu kommen), sondern es ist der Weg dorthin. Die Herausforderungen, die man löst und das persönliche „Erarbeiten“ der Lösungen, die überhaupt erst zum erfolgreichen Bestehen der Herausforderungen führen.
Das Interessante am Spiel, Sport & Hobby, also all den Aktivitäten, die wir Menschen ja bereits intrinsisch ausführen, egal welches Alter, Geschlecht, Herkunft oder Bildung, ist ja, dass ein erfolgreiches Handeln zu einer noch größeren Herausforderung führt. Level 3 ist immer härter als Level 2. Das muss so sein, ja nur dann freuen wir uns darauf, auch diese Level-3-Herausforderung anzugehen. Das Feedback für eben diesen Fortschritt ist auch nicht irgendein materieller Punkt oder Badge oder der Aufstieg in der Rangliste (diese fungieren als Feedbackmechanismen und weniger als eigentliche Belohnung), sondern es ist der Zugriff bzw. der Erhalt von einer Ressource wie neues Wissen, ein Werkzeug, Hilfe oder Ähnliches, das uns nun erst ermöglichen wird, richtig angewandt, die nächste Herausforderung bestehen zu können.
Denken Sie einmal an Ihr eigenes Hobby. Was immer es ist, seit Sie es begonnen haben, fordern Sie sich hier selbst heraus. Ganz unbewusst sorgen Sie hier selbst für Rahmenbedingungen, an denen Sie wachsen können/müssen. Denn dann ist es auch, gefühlt, die Zeit wert, die Sie reinstecken.
Den Kunden intrinsisch motivieren
Sie haben nun also zwei Möglichkeiten. Bei der ersten Möglichkeit setzen Sie auf Punkte, Badges, Mini-Games usw. Entweder versuchen Sie so also von der eigentlichen Eintönigkeit der Aufgabe/Situation abzulenken (Mini-Games) oder Sie versuchen, den Nutzer zu „entschädigen“, in dem er wenigstens etwas dafür erhält, wenn er sich schon mit der sonst ja anscheinend weniger attraktiven Aufgabe auseinandersetzt. Das ist alles legitim, keine Frage. Aber bitte vergessen Sie nicht, dass Sie erstens das eigentliche Problem, nämlich die Interaktion für den Nutzer intrinsisch motivierend zu machen, ja nicht gelöst haben, da diese ja immer noch dieselbe ist und zweitens die Menschen extrinsische Belohnungssystem wie Punkte oder Badges oder Ranglisten ja schon seit Jahrhunderten einsetzen. Warum sollten Sie denn jetzt plötzlich erfolgreicher sein? Hat sich die über Jahrtausende geformte Psychologie des Menschen und seine Reaktion auf diese Ansätze nun plötzlich geändert? Ich denke nicht.
Und damit kommen wir zur zweiten Möglichkeit. Sie fokussieren sich auf das Grundlegende, dass gerade so intrinsisch motivierende Kontexte wie Spiel, Sport & Hobby (natürlich gibt es noch mehr) miteinander verbindet. Also den kleinsten gemeinsamen Nenner. Und beginnen mit diesem als Vorbild, Ihr Produkt oder Ihren Service aufzubauen. Ich verspreche Ihnen, am Ende sind Sie idealerweise gar nicht mehr auf Punkte, Badges oder Ranglisten angewiesen. Sie haben sich sogar davon befreit, ständig mehr Belohnung (oder Bestechung?) ausrufen zu müssen.
Lassen Sie Kunden Ihr Produkt erobern
Im Grunde ist das Spiel nichts anderes als „der freiwillige Versuch unnötige Hindernisse zu überwinden“ (Quote Bernard Suits). Ich würde es noch weiter charakterisieren, in dem wir ergänzen, „dass es eine Journey ist, die sich über die Zeit vor einem entfaltet, abhängig der eigenen vorangehenden Entscheidungen“.
Für Sie bedeutet dieser Umstand, dass Ihre Zielgruppe es zu schätzen weiß, wenn sie Ihr Angebot entweder über einen Zeitraum „erobern“ darf oder wenn sie Ihr Angebot als Werkzeug wahrnimmt, welches sie in XYZ besser werden lässt.
Dabei ist es entscheidend, dass man es als eine Journey erlebt. Denn so paradox das klingen mag – schließlich glauben wir ja, dass der Mensch es immer schnell und leicht haben will und dazu noch belohnt werden möchte – scheinen wir emotional an die Situationen gebunden zu sein, die uns genau das Gegenteil, jedenfalls subjektiv empfunden, erleben lassen. Niemand will eine Abkürzung im Spiel. Knopf B gedrückt und man hat sich aus Level 1 direkt zum Endgegner in Level 36 gebeamt und ihn besiegt? Wohl kaum attraktiv. Auch sind Belohnungen (sollte es am Ende welche geben und das darf ja auch mal ruhig sein) viel mehr wert, wenn ich weiß, was für eine eigene Leistung dahinterstand. Wird sie stattdessen auf dem Silbertablett dargereicht, dann nehmen wir sie natürlich dankend an (wir sind ja nicht blöd) und haben sie – emotional – aber auch im nächsten Moment wieder vergessen.
Denken Sie Ihr Produkt ab jetzt in einer Journey aus Sicht der aktiven Nutzer. Lassen Sie Ihre Kunden diese Stück für Stück – gefühlt – erobern. Das funktioniert bei einer Software ebenso, wie bei dem Genießen eines vielfältigen Weinsortiments, dem Wahrnehmen von finanziellen Dienstleistungen (eigentlich ein Paradebeispiel für die Spielcharakteristik „leicht zu beginnen und hart zu meistern“), dem Kundenlebenszyklus mit einer komplexen Marke mit unterschiedlichsten Produkten, bei Angeboten wie Versicherungen, die sich nativ parallel zum persönlichen Lebensweg eines Kunden mitentwickeln können, Content-Konsumenten wie Zeitungsleser, die sich vom gefühlten Anfänger zum erfahrenen Leser in Themen entwickeln können und vieles, vieles mehr.
Das nächste Mal, bevor Sie wieder in Gefahr laufen Menschen mit Punkten oder Quizzes motivieren zu wollen, versuchen Sie es mal mit der Gestaltung einer erlebbaren Journey, die man sich über die Zeit erobert. Ich verspreche Ihnen, Sie setzen damit alleine schon auf eine der mächtigsten Mechaniken, der sich der „Homo Ludens“ in uns kaum entziehen kann.