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OBI hat eine eigene Perspektive auf Retail Media

Kaufentscheidung direkt am Point of Sale beeinflusst - OBI macht einiges anders und hat vor allem andere Herausforderungen.
Frank Puscher | 11.12.2023
Vodafone wirbt auf dem OBI-Parkplatz für seinen „Super WLANVERSTÄRKER“ © OBI/Vodafone
 

Die Daten und Werbeflächen des Handels waren eines der Trendthemen auf der diesjährigen DMEXCO. MediaMarktSaturn, Douglas oder Lidl verfügen über viel Kundenwissen und zahlreiche Kundenkontakte und haben begonnen diesen Schatz werblich zu monetarisieren. OBI auch. 

Wenn Vodafone ein Plakat auf dem OBI-Parkplatz aufhängt, auf dem der Telekommunikationsanbieter für seinen „Super WLANVERSTÄRKER“ wirbt, dann wirkt das vielleicht auf den ersten Blick wie eine Reichweitenkampagne, die einfach auf jeder Fläche plakatiert wird, die gerade verfügbar ist. Schließlich kann man das Vodafone-Produkt bei OBI nicht kaufen. Man kann nicht mal einen QR-Code scannen, um den Verstärker auf einer Landing Page zu erwerben.

Denkt man etwas länger darüber nach, ist die Kampagnenplatzierung wahrscheinlich doch kein Zufall. OBI hat Reichweite. Die Plakatfläche ist prominent. Die Autos fahren beim Einparken langsam. Das generiert Aufmerksamkeit. Es gibt vergleichsweise wenige Alternativreize, die ablenken. Niemand starrt beim Einparken auf sein Smartphone. Männer stellen sowohl für OBI als auch für den WLan-Verstärker die Kernzielgruppe dar.

Und das ist nur die oberflächliche Betrachtung. Denkt man an eine Customer Journey, dann ist es nicht unwahrscheinlich, dass jemand, der am Eigenheim bastelt, auch offen ist für die in Eigenregie hergestellte, bessere Internetverbindung. Wer gerade in eine neue Wohnung zieht, braucht vielleicht auch einen WLan-Verstärker. Und wer gerade seinen Garten pimpt, stellt plötzlich fest, dass der Router nicht bis zur neuen Hängematte strahlt. Es wird Zeit für einen Repeater.

Wertvolle First-Party-Daten

Solche Gedanken hört Patricia Grundmann am liebsten. Sie leitet OBI First Media und ist damit beauftragt, die Reichweite und die Kundenkontakte (vulgo: Daten) der Baumarktkette werblich zu versilbern. „Es bewegt sich jede Menge. Die Budgets werden auf einer Einzel-Advertiser-Ebene von Jahr zu Jahr größer. Viele sind sachte gestartet und haben über die Jahre das Vertrauen in Retail Media gewonnen“, freut sich Patricia Grundmann.

Patricia Grundmann © OBI

Mit den eigenen Partnern und Lieferanten ist das ein NoBrainer. Die verstehen, dass man die Kaufentscheidung direkt am Point of Sale beeinflussen kann. Im Online-Shop erkauft man sich eine prominente Platzierung in der Suchergebnisliste („Sponsored Ads“). Im Markt selbst ist es zum Beispiel die Display-Fläche im Eingangsbereich.

Spannender ist zurzeit die Diskussion um Anbieter, die ihre Produkte nicht direkt im Baumarkt verkaufen. Diese, auch als non-endemisch bezeichneten, Kunden haben ein Auge auf Retail Media geworfen. Sie wissen, dass Händler wie OBI nicht nur Frequenz und Reichweite haben, sondern auch spannende Daten. Alle großen Retailer betreiben eigene Loyalty-Programme, mit denen sie die Warenkörbe auswerten. Darin stecken spannende Informationen über Wohnort und Haushaltseinkommen, aber auch über aktuelle Projekte der Haus- und Gartenverschönerung. „Etwa knapp die Hälfte unserer Kundinnen und Kunden zeigt derzeit beim Bezahlen die heyOBI-App im Markt vor“, sagt Patricia Grundmann.

Die Werber können diese Daten nutzen, um auf klassischen Publisher-Websites damit Werbung zu schalten. Der OBI-Kunde hat mit dem Beitritt zum Loyalty-Programm seine Einwilligung zu personalisierter Werbung erteilt, seine E-Mail-Adresse ist der Identifikator und der Werbungtreibende kann diesen Nutzer auf dritten Websites wiederfinden und gezielt ansprechen.

Hier gibt es allerdings ein kleines Problem. Die Daten des Handels sind sein Kapital und deshalb gibt er sie ungern raus. Schon gar nicht in ein so unübersichtliches System wie Programmatic Advertising. Das Problem kann gelöst werden, meinen die fortschrittlicheren unter den Retailern. OBI First Media bietet den Werbungtreibenden und deren Agenturen gleiche mehrere Möglichkeiten an. Es gibt vordefinierte Audiences. Der Werber weiß zwar, auf welches Merkmal das Targeting geschaltet wird, aber nicht, wer die einzelnen User dahinter sind. Solche Audiences kann er, seine Agentur oder seine DSP bei den Publishern abrufen.

Alternativ kann man bei OBI First Media auch direkt buchen. Patricia Grundmann kauft in großem Stile Werbeflächen bei Publishern ein und verkauft diese weiter, inklusive Targeting. Das Angebot richtet sich freilich an endemische und non-endemische Kunden. Gerade ist OBI dabei, dieses Leistungsportfolio auszuweiten. Für nächstes Jahr ist ein Data Clean Room geplant, der es erlaubt, komplette Datensätze von Werbungtreibenden mit denen von OBI zu matchen, ohne dass Unbefugte mitlesen und ohne, dass die DSGVO verletzt wird.

Freilich braucht es Vertrauen der Werbungtreibenden und Agenturen in die Leistungsfähigkeit von OBIs System. Aber da ist Grundmann sehr selbstbewusst: „Wir müssen im Markt wettbewerbsfähig sein. Alle Beteiligten werden lernen, welche Art von Kampagnen funktioniert und welche nicht“.

Die heilige Customer Journey

Für erfahrene Digitalwerber ist das alles gelebte tägliche Praxis. Für Retailer ist es neu. Das Thema Retail Media wird seit Jahren diskutiert und ihm wird von vielen Seiten großes Potential zugesprochen, aber die Entwicklung des Marktes verlief eher stockend. Selbst Branchenvorreiter Otto hatte sich zu Anfang nur darauf konzentriert, den eigenen Lieferanten Werbeflächen anzubieten. Das Amazon-Modell. Torsten Ahlers, der das Modell damals aufbaute und heute MediaMarktSaturn beim Thema Retail Media vorantreibt, sagte 2017, dass er endemischen Partnern diese Werbeflächen extrem günstig anbieten kann, weil er ja beim Verkauf des beworbenen Produktes mitverdient.

Was auf den ersten Blick eine Win-Win-Situation darstellt, ist auf den zweiten Blick ein Zielkonflikt, vor allem, wenn es um nicht-endemische Kunden geht. „Der Begriff Retail Media besteht aus zwei Worten und das erste heißt Retail“, lautet ein Bonmot von Patricia Grundmann. Alles, was im werblichen Bereich gemacht wird, soll bestenfalls den Abverkauf im Laden befeuern. Schlechtestenfalls stört die Werbung die Kunden nicht und der Handelsabsatz bleibt konstant. Aber auf gar keinen Fall will man riskieren, dass Kunden, die sich schon auf der Website von OBI oder auf deren Parkplatz befinden, in ihrer Customer Journey gestört werden.

Es muss passen. Und im Gegensatz zu vielen anderen Diskussionen im Advertising, geht es nicht um Technologie oder Formate, sondern es geht um die Story. „Deswegen ist es immer abhängig von den Narrativen“, erklärt Grundmann. „Beispiel LEH. Ich würde eine einfache Produktwerbung zwar nicht kategorisch ausschließen, aber schöner ist natürlich das Narrativ „Erfrischungsgetränk im Garten““. Kampagnen, die Produkte aus dem OBI-Sortiment in Onlinestores bewerben sind schwierig. Aber wenn Douglas Beauty-Produkte bewerben möchte, die zur Idee eines Home-Spas passen – warum nicht?

Diese Herangehensweise führt zu einem völlig anderen, prozessualen Setup bei OBI First Media. Die eingehenden Creatives, die auf den Werbeflächen erscheinen, werden vorher geprüft. „Wir lehnen nicht viel ab, aber es kommt vor“. Ein solcher Prozess skaliert nicht. Hier wird die werbliche Vermarktung für OBI schnell teuer, deshalb setzt OBI auf die Agenturen. „Über die Zeit etabliert sich ein Vertrauensverhältnis. Die Agenturen und auch die Werber lernen, wie das funktioniert“. Und dann muss auch nicht mehr jedes Werbemittel kontrolliert werden. Mit Publicis hat man soeben eine groß angelegte Kooperation verkündet. „Die haben Zugriff auf unser gesamtes Inventar“. Mit Publicis hat OBI First Media bereits einige Kampagnen realisiert.

Sales gegen Marketing?

Grundmann profitiert davon, dass vieles von dem, was ihr heute Probleme bereiten könnte, schon in den letzten zehn Jahren intensiv diskutiert wurde. Sie hat klare Antworten auf die drängendsten Fragen, weil der komplette, digitale Werbemarkt die Antworten bereits entwickelt hat, oder weil man es mit Technologie lösen kann, die es vor sieben Jahren so noch nicht gab.

Eine latente Frage der Werbungtreibenden und Agenturen ist die nach der Werbewirkung. Lässt sich jemand, der wegen eines neuen Akkuschraubers zu OBI fährt, überhaupt aus diesem mentalen Tunnel herauslocken? Ist man während eines zielgerichteten Kaufs offen für Werbung, die keinen unmittelbaren Call-to-action hat? Grundmann antwortet entwaffnend pragmatisch: „Das muss man eben ausprobieren“. OBI First Media bietet dafür die notwendige Infrastruktur, vor allem für die Messung.

Eine andere Frage stellt sich intern. Wie schaffen wir es, eine skalierbare Struktur aufzubauen? Viele Werbeplatzierungen sind kleinteilig, etwa bei „Sponsored Product Ads“. Grundmanns Antwort: Man baut nichts eigenes mehr, sondern bindet ein erprobtes Produkt ein, PromoteIQ von Microsoft. Das verbindet sich mit den Daten des Händlers, empfiehlt Werbungtreibenden Budgets und Platzierungen und es ist vor allem im Self Service nutzbar. Aber nur für „zertifizierte“ Advertiser und Agenturen. „Das hilft insbesondere den Kunden, die viel performance-orientierter im Self-Service ausspielen wollen“, so Grundmann. „Vor allem bei den größeren konzeptionellen Kampagnen unterstützen wir nach wie vor und gerne intensiv. Wir haben eigene Media-Pläne, eigene Media-Setups, die wir planen“.

Die wohl spannendste Frage aber lauert tief in der DNA des Handels. Was ist eigentlich mit dem WKZ, dem Werbekostenzuschuss. Wenn der Handel Produkte eines Herstellers speziell promoted, bekommt er dafür Nachlass bei den Einkaufspreisen. Und es gibt nicht nur eine Form des WKZ, es gibt Hunderte. Die Handelsseite von OBI (und jedem anderen Händler) wünscht sich absatzfördernde Maßnahmen auf den Bildschirmen und Plakatwänden zu sehen. OBI First Media freut sich dagegen über Werbebuchungen aus den Marketingabteilungen.

Kein Problem, meint Patricia Grundmann. „Wir haben es sehr konsequent von Anfang an getrennt durchgezogen. Für mich ist ein Werbekostenzuschuss ein Zuschuss zu einer Werbekampagne, die ein Retailer plant. Und die plant er, so wie er sie plant. Displays, Plakatflächen und Offsite-Platzierungen sind kein WKZ sondern Marketing. Da muss man anrufen, da bekommt man ein Angebot und das kann man annehmen oder nicht“. Promotion-Flächen im Laden, die Platzierung kleinerer Bildschirme an den Regalen und natürlich die Mitnahme im Angebotsflyer ist WKZ. „In der Regel ist alles was multibrand ist WKZ“, meint Patricia Grundmann.

Durch diese scharfe Trennung wird Kompetenzgerangel im Unternehmen reduziert. Im Gegenteil: Da dezidiert von verschiedenen Budget-Töpfen auf Kundenseite die Rede ist, haben beide OBI-Teile – WKZ und Media – die Möglichkeit, das Volumen des Gesamtbudgets zu erhöhen, in dem man den jeweiligen Inhouse-Partner ins Spiel bringt.

Wie groß wird Retail Media?

Patricia Grundmann ist stellvertretende Vorsitzende in der Arbeitsgruppe Retail Media beim BVDW. Der Vorsitzende ist Torsten Ahlers. Der poltert schon mal medienwirksam, dass in wenigen Jahren Retail Media TV überholen wird, was die Größe des gesamten Werbebudgets angeht.

Daran glaubt Grundmann nicht. Sie sieht viel Wachstumspotential, aber erkennt auch Grenzen, zum Beispiel die oben angesprochene Customer Journey. Bestimmte Produkte gewinnen nichts, wenn sie bei OBI werben. Und für bestimmte Kampagnen ist die lean back Situation beim Fernsehen oder Streamen vielleicht besser geeignet, als der Zusatzimpuls während des Einkaufsprozesses. Außerdem bewegt sich der Markt insgesamt nicht so schnell, wie er könnte. Anbieter wie Budnikowski stellen einfach Displays ins Fenster und lassen die extern vermarkten.

Woran Patricia Grundmann allerdings fest glaubt ist, dass die Kontrolle der Narrative einen positiven Einfluss auf die Werbemittel und somit auf die Customer Journey haben wird. Es lenkt den Blick wieder etwas stärker auf das Creative, auf die konkrete Situation, den Moment. „Es gibt ziemlich viele Marken, die von unseren Daten und Touchpoints profitieren können, wenn sie mal genau darüber nachdenken“. Das sind zum Beispiel ortsnahe Unternehmen zu einzelnen OBI-Filialen. Der örtliche Baumarkt ist einer der local heroes. Warum nicht ein Konzert bewerben, das in der Nähe stattfindet? Das hat überhaupt nichts mit Baumarkt-Kaufinteresse zu tun, aber sehr viel dem Basis-Mindset der lokalen Zielgruppe.

Die Kontrolle, ob das Narrativ zur Customer Journey der OBI-Kunden passt, hat nichts damit zu tun, dass die Optik zur OBI-CI passen müsste.  Im Gegenteil. Patricia Grundmann ist Werberin genug, um die Bedeutung von Überraschung und optischer Auffälligkeit nicht in Frage zu stellen. „Von mir aus kann Vodafone auch in grellem Magenta werben“, lacht die Geschäftsführerin von OBI First Media.

Ob Retail Media einmal die größte Werbegattung werden könnte, darüber möchte Patricia Grundmann nicht spekulieren. Aber sie ist davon überzeugt, dass noch mehr geht: „Ich glaube, wir sind als Markt noch viel zu langsam unterwegs, also langsamer als das Potenzial dieses Themas.

 

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Frank Puscher ist Journalist mit über zwei Jahrzehnten Berufserfahrung.