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Beyond NPS: Neue Wege der Kundenforschung

Seit Jahren verlassen sich Unternehmen auf KPIs wie den NPS. Sie zeigen, ob Kunden zufrieden oder unzufrieden sind – aber nicht, warum.
Nils Hafner | 16.04.2025
Von der Marktforschung zur Kundenforschung © Nils Hafner
 

Seit Jahren verlassen sich Unternehmen auf Kennzahlen wie den Net Promoter Score (NPS) oder die Kundenzufriedenheit (CSAT), um den Erfolg ihrer Customer Experience (CX) zu messen. Doch diese Werte sind nicht mehr als Momentaufnahmen ohne echten Tiefgang. Sie zeigen, ob Kunden zufrieden oder unzufrieden sind – aber nicht, warum.

 

Die harte Wahrheit: Viele Unternehmen sind blind für das, was ihre Kunden wirklich bewegt. Sie messen, wie oft jemand „wahrscheinlich“ weiterempfiehlt, anstatt zu verstehen, welche Werte, Emotionen und Erlebnisse hinter einer echten Markenbindung stehen. Wer nicht umdenkt, riskiert, dass die Kunden abwandern – oder sich gar nicht erst für eine Marke entscheiden.

 

Die Lösung? Kundenforschung oder neudeutsch: Outside Insight. Statt sich auf simple Scores zu verlassen, sollten Unternehmen den Blick über die traditionellen Messmethoden hinaus richten und Kundenerlebnisse in ihrem gesamten Kontext verstehen.

 

Warum klassische Marktforschung versagt

 

Viele Unternehmen setzen auf standardisierte Umfragen, um Kundenzufriedenheit zu messen. Doch diese Methoden haben grundlegende Schwächen:

 

1. Zu viele Messungen, zu wenig Erkenntnisse: Kunden werden ständig um Feedback gebeten – oft mit den immer gleichen Fragen. Die Folge? Umfrage-Müdigkeit. Viele Kunden ignorieren die Anfragen oder geben nur noch oberflächliche Antworten.

 

2. Der Net Promoter Score ist zu simpel und/oder wird falsch erhoben: Der NPS erfasst lediglich eine Absicht („Wie wahrscheinlich ist es, dass Sie uns weiterempfehlen?“). Doch er gibt keine Hinweise darauf, warum Kunden loyal sind oder abspringen. Fehler sind vielfältig: Der NPS wird bei Kunden ohne konkretes Erlebnis erhoben, er wird anonym erhoben, es wird nur mit Durchschnitswerten gearbeitet oder die  Close-the-Loop-Frage wird häufig nicht gestellt.

 

3. Zahlen sagen nicht alles: Ein Kunde kann mit einem Unternehmen unzufrieden sein und trotzdem bleiben – sei es wegen eines Mangels an Alternativen oder aus Bequemlichkeit. Umgekehrt kann jemand hochzufrieden sein und dennoch zur Konkurrenz wechseln. CX-Strategien, die nur auf Zahlen basieren, übersehen diese entscheidenden Nuancen.

 

Outside Insight: Der echte Blick auf den Kunden

 

Statt sich auf starre Kennzahlen zu verlassen, sollten Unternehmen Customer Experience aus einer 360-Grad-Perspektive betrachten. Outside Insight bedeutet, die Welt aus Kundensicht zu sehen – und nicht nur aus der Perspektive von Marktforschern oder Unternehmensberatern.

 

Wie funktioniert das konkret? Drei zentrale Prinzipien machen den Unterschied:

 

1. Erlebnisse statt Scores priorisieren: Kunden sind keine Zahlenreihen – sie sind Menschen mit individuellen Werten und Erwartungen. Unternehmen müssen verstehen, welche Erlebnisse wirklich zählen.

 

2. Qualitative Daten besser nutzen: Klassische quantitative Marktforschung sind oft zu starr. Auch werden hier wenig aussagekräftige Durchschnittswerte gebildet. Erfolgreiche Unternehmen setzen daher auf moderne Forschungsmethoden wie Laddering oder Sequential Incident Laddering Technique (SILT), um tiefere Erkenntnisse zu gewinnen.

 

3. Automatisierung sinnvoll einsetzen: Künstliche Intelligenz (KI) kann helfen, unstrukturierte Kundenäußerungen aus Reviews, Servicegesprächen oder Social-Media-Beiträgen zu analysieren. So lassen sich tiefere Einsichten gewinnen als durch simple Skalenwerte.

 

Was Unternehmen jetzt ändern müssen

 

Einige Unternehmen haben bereits erkannt, dass Outside Insight entscheidend für den zukünftigen Erfolg ist. Hier sind drei zentrale Handlungsfelder für Marketing- und CX-Verantwortliche:

 

1. Vom Score zur Story: Kunden emotional verstehen

 

Ein NPS-Wert von 30 oder 50 sagt wenig darüber aus, warum Kunden bleiben oder gehen. Unternehmen müssen stattdessen herausfinden:

 

• Welche Erlebnisse lösen Begeisterung aus?

 

• Wann fühlen sich Kunden enttäuscht oder ignoriert?

 

• Welche Emotionen beeinflussen ihre langfristige Markenwahrnehmung?

 

Ein Beispiel: Ein großer Telekommunikationsanbieter konnte durch Outside Insight feststellen, dass nicht die Netzqualität, sondern der Umgang mit Vertragsverlängerungen die größte Frustration bei Kunden auslöste. Diese Erkenntnis führte zu einem radikalen Umbau der Kundenbindungsstrategie – mit messbarem Erfolg.

 

2. Kundenfeedback in Echtzeit auswerten

 

In einer digitalen Welt können Unternehmen nicht warten, bis eine Umfrage abgeschlossen ist, um Maßnahmen zu ergreifen. Kunden geben kontinuierlich Feedback – oft ohne direkte Aufforderung.

 

Ein Beispiel: Ein Reiseunternehmen nutzte KI, um Social-Media-Posts und Online-Reviews in Echtzeit zu analysieren. Dadurch erkannte es, dass viele Kunden Probleme mit einem neuen Buchungsprozess hatten – und konnte sofort nachjustieren, statt erst Wochen später auf eine Umfrage zu warten.

 

3. Werteorientierte Customer Experience entwickeln

 

Marken, die sich langfristig behaupten wollen, müssen sich mit den Werten ihrer Kunden identifizieren. Wer das ignoriert, riskiert, am Markt vorbeizukommunizieren.

 

Ein Beispiel aus der Finanzbranche: Eine große Bank stellte durch die Analyse der Aussagen in ihrer Customer-Community fest, dass viele junge Kunden die digitale Services der Bank nicht nutzen, weil sie eine klare, verständliche Kommunikation über Finanzprodukte vermissen. Klassische Banksprache mit komplexen Fachbegriffen führte zu Unsicherheit – die jungen Kunden nutzen physische Touchpoints oder entscheiden sich im schlimmsten Fall für einen moderneren FinTech-Anbieter, der adäquat kommuniziert.

 

Die Reaktion: Die Bank entwickelte ein neues Kommunikationskonzept mit einfachen, transparenten Erklärungen, verstärkte den Einsatz von Chatbots mit natürlicher Sprache und führte personalisierte Beratung über digitale Kanäle ein. Das Ergebnis: steigende Kundenzufriedenheit und eine höhere Bindung bei jungen Zielgruppen.

 

2025: Der Wendepunkt für Customer Experience?

 

Die Technologie zur Echtzeit-Auswertung qualitativer Kundenforschung ist heute bereits verfügbar – aber viele Unternehmen nutzen sie noch nicht konsequent genug. In den nächsten Jahren wird die KI-gestützte qualitativ und quantitative Analyse von Kundenfeedback zum Standard werden. Wer nicht handelt, bleibt hinter der Konkurrenz zurück.

 

Die zentrale Frage für Marketing-Entscheider lautet daher:

 

Bleiben wir beim alten Score-Denken – oder erkennen wir endlich, was Kunden wirklich bewegt?

Img of Nils Hafner

Prof. Dr. rer. pol. Nils Hafner ist gefragter Experte für den Aufbau profitabler Kundenbeziehungen sowie erfolgreicher Speaker und Dozent.

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