So macht die Künstliche Intelligenz CRM besser
Nach einem Jahr Umgang mit Generative AI lichten sich die ersten Nebel. Es wird klar, dass es eine stabile Datenbasis braucht und dass Datensicherheit eine der größten Sorgen ist. Eine neue Ära des Customer Relationship Managements bricht an.
„Wir haben acht Jahre gebraucht, um unsere First Party Daten zu konsolidieren“. Ray Hayward von Walmart beschreibt, wie lange der Weg war, um sich substantiell zu einer Technologiefirma zu entwickeln, die Walmart heute ist. 2012 wurde dem Handelsriesen deutlich, dass der wertvolle Kundenkontakt des Handels sich in digitalen Zeiten in wertvolle First Party Daten übersetzt. Von Retail Media war damals noch keine Rede. Auch nicht von Generative AI. Aber beide Trends profitiere enorm von den Hausaufgaben, die man bei Walmart gemacht hat.
Ein Beispiel dafür ist der persönliche Shopping-Assistent in der Walmart-App, der schon eine Woche vorher auf der CES in Las Vegas vorgestellt wurde. Ein weiteres ist der kassenfreie Ausgang, der ohne Beleg-Scan auskommt. Die Kunden laufen durch eine Art blaues Portal und ihre Einkäufe werden direkt in der App verbucht. Derzeit befindet sich das System im Teststadium in Dallas. Bis Ende des Jahres soll es flächendeckend ausgerollt werden.
Ein drittes Beispiel ist Retail Media. Und hier wird sehr deutlich, wie sich die Zeiten seit 2012 geändert haben. Auf Grundlage der eigenen Daten hat man sich bei Walmart dazu entschieden, einfach das bestehende Werbesystem des Programmatic Advertising anzuschließen. Die sensiblen Kundendaten werden durch Data Clean Rooms geschützt, stehen den Marken aber fürs Targeting zur Verfügung. „Wir werden bis Sommer unser gesamtes Display-Inventar an Programmatic anschließen“, kündigt Ray Hayward an.
Der Datenschatz, den Walmart nutzt, stammt vor allem aus dem eigenen Loyalty Programm Walmart+ sowie dem Sam´s Club, dem Einkaufsclub für Mitglieder, vergleichbar mit Vent Privée oder dem Bertelsmann Buchclub, nur eben für alle Alltagsgüter. „Wir können mit der Hilfe von Künstlicher Intelligenz unsere Kundenbeziehungen viel tiefer analysieren als vorher“, so Hayward. Und weil das Loyalty-Programm auch die Verbindung zum stationären Laden darstellt, erstreckt sich das Potenzial zur Monetarisierung von Retail Media bis auf die Monitore in den Shops.
Der KI-Dialog
Allerdings sind „Monitore“ Technologie von gestern, wenn man durch die Hallen der NRF schlendert. Holographische Installationen bieten deutlich mehr kreatives Potenzial und locken mehr Aufmerksamkeit. Allerdings sind sie auch teurer. Und der chronisch klamme Handel scheut die großen Investitionen in dreidimensionale Displayflächen, die so groß sind wie Telefonzellen, solange nicht klar ist, wodurch das bezahlt wird.
Bei Standardvision aus Kalifornien hat man dazu eine ziemlich coole Idee. Man könnte doch die beeindruckenden, halbtransparenten Displays kombiniert einsetzen. Zum einen läuft Werbung von Marken über Retail Media und in der „Freizeit“ nutzt man die Displays zum Beispiel für den digitalen Kundenservice. Dann hat der Händler einen unmittelbaren Einkommenseffekt und kann damit experimentieren, ob die eigenen Kunden mit derartigen Systemen interagieren.
Tatsächlich scheint es ausgemacht, dass Kunden sich mit der digitalen Darstellung eines Beraters auseinandersetzen. Zwei Varianten sind denkbar. Die „Telefonzelle“ von ARHT, nach eigenen Angaben Marktführer, überträgt das Kamerabild eines Kundenberaters in beeindruckender Qualität an einen anderen Ort. Die Idee dahinter ist, dass zum Beispiel in einem Filialunternehmen Beratungskräfte zentral vorgehalten und auf Kundenwunsch hin in die jeweilige Filiale übertragen werden. Der Vorteil: Der Berater sieht den Kunden und dessen Umgebung durch Kameras. Die lebensgroße Übertragung funktioniert fast genauso gut, wie der Kontakt mit einem real anwesenden Berater.
Die zweite Variante ist technologisch spannender und integriert sich perfekt in KI und CRM. Samsung präsentierte eine neue Iterationsstufe des bereits vier Jahre alten Projekts Neon. 2020 stellt man ein System vor, dass es jedem Unternehme erlaubt, sich seinen eigenen Avatar-Berater zu konstruieren. Das Projekt scheiterte krachend an den eigenen Qualitätsansprüchen. Der ehemalige Projektleiter verließ Samsung und nahm gleich einen Teil des Teams mit. „Wir hatten wirklich ein unglückliches Timing“, sagt ein Samsung-Sprecher am Rande der NRF. „Erst kam Covid und dann hat Generative AI die Idee von Dialogsystemen auf ein komplett neues Niveau gehoben“.
Und jetzt taucht plötzlich Sam auf. Er ist Weinberater beim US-Händler Chevron und er basiert auf einem Large Language Model. Er lässt sich mit relativ wenigen, grundlegenden Daten aus dem ERP trainieren und eröffnet eine neue Dimension der Kundeninteraktion. Verbunden mit der Kaufhistorie, zum Beispiel aus einem Loyalty-Programm, kann Sam sehr individuelle Empfehlungen aussprechen, die weit über ein klassisches Recomendation-System hinausgehen. Aktuell spricht Sam fünf Sprachen. Deutsch fehlt. Es gibt neben Sam noch fünf weitere Standard-Avatare, aber Samsung verspricht, man könne auch individuelle Avatare erzeugen, wenn der Kunde das möchte. Das braucht nur einen halben Tag.
Auch das Schminktutorial aus der Ferne ist ein CRM-Ansatz, den sich ARHT für seine holographische Übertragung ausgedacht hat.
Generative AI überall
Avatare sind vielleicht die spektakulärste Innovation, bei der Künstliche Intelligenz eingesetzt wird. Nicht nur Generative AI für Verständnis und Ausgabe von Sprache oder die lippensynchrone Darstellung eines Sprechers. Auch die analytische Version der KI kommt zum Einsatz, wenn es zum Beispiel darum geht, Muster in Verkaufsdaten zu erkennen und Produkte zu empfehlen.
Wie sich Generative AI anschickt, alle Bereiche der Kundenbeziehung zu verändern, weiß vermutlich niemand besser als Salesforce. Die CRM-Profis hatten sich etwas Zeit gelassen, ihre KI Einstein mit kreativen und generativen Fähigkeiten auszustatten. Dafür präsentierte man im September letzten Jahres einen klugen Plan, der vor allem die dringenden Bedürfnisse der Kunden nach Vertrauen und Sicherheit berücksichtigt.
Vereinfacht ausgedrückt hindert die Salesforce Marketing-Cloud den Nutzer daran, sensible Kundendaten an die Sprachmodelle zu schicken, indem es diese Daten durch Platzhalter ersetzt. Kommt die Antwort von ChatGPT und Co. zurück, werden die Daten wieder eingefügt. Sie verlassen also das Hoheitsgebiet des jeweiligen Salesforce-Kunden nicht.
Ein halbes Jahr später zur NRF präsentiert die CRM-Company ein Füllhorn spezialisierter generativer und analytischer Talente, die im Wesentlichen aus realen Kundenprojekten abgeleitet wurden. Brandneu ist zum Beispiel der Einstein Media Planer. Er leitet aus den gesammelten Daten des Händlers Strategien und Systematiken ab, wie Werbungtreibende die Inventare im Laden, im Onlineshop des Händlers und auf Drittwebsites belegen sollten. „Die allermeisten Händler haben keine Media-Expertise. Mit Einstein können sie einfach und schnell beginnen“, meint Gordon Evans, als Vizepräsident bei Salesforce zuständig für Kunden, die mit Konsumgütern handeln. Zielgruppe des Tools sind letztlich die Werbeagenturen.
Salesforce setzt außerdem stark auf die Idee des KI-Assistenten. Für den Marketer steht generative AI heute schon zur Verfügung, um Texte und Grafiken für Mailings oder Banner zu erstellen. Im Frühjahr wird es ein Tool geben, um aus den Händlerdaten neue Zielgruppensegmente zu bilden. Dabei sorgt die KI nicht nur für die Auswahl, sondern liefert eine aussagekräftige Beschreibung der Merkmale gleich mit.
Das wohl ehrgeizigste Projekt soll bis zum Sommer live sein, der Einstein Copilot for Shoppers. Vermutlich kann man die Rückkehr des Chatbots in Form eines KI-gestützten Dialogsystems als einen der größten aktuellen Trends im E-Commerce beobachten. Er löst das Versprechen ein, das die Chatbot-Szene schon vor fünf Jahren gegeben hat: Er kann Kunden helfen, Probleme im Self Service zu lösen, sammelt gleichzeitig wertvolle Daten, verlängert die Verweildauern und verkauft sogar direkt im Dialog.
Auch Walmart hat ein solches System im Einsatz. Das fragt seinen User schon mal, ob er nicht ein Produkt auf seiner Einkaufsliste vergessen hat, das er sonst immer kauft. Walmart arbeitet übrigens nicht mit Salesforce sondern in der Azure-Cloud, also folglich direkt mit Microsoft und OpenAI.
Auch beim europäischen Handelsschwergewicht Carrefour setzt man auf den intelligenten Einkaufsassistenten, verwendet generative AI im Alltag allerdings auch, um personalisierte E-Mails zu konzipieren. Jessyn Katchera, Head of E-Commerce bei Carrefour ist sich allerdings dessen bewusst, dass das nur zwei von Hunderten von Möglichkeiten sind, generative AI im CRM einzusetzen. „Theoretisch ist alles möglich“. Und das ist aus seiner Sicht durchaus problematisch. Es kann nämlich dazu führen, dass sich der eigentlich interessierte Händler im Wahlparadoxon verstrickt. Katcheras Rat: „Lasst Euch nicht von der Vielfalt lähmen. Sucht Euch einen echten Pain Point im Kundendialog und fangt einfach damit an.“