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Kultur oder Kult? Warum Unternehmen eine Identität brauchen

Eine echte Kultur zu etablieren und nicht nur ein Feigenblatt ist ein weiter Weg. Und der Grat von der Kultur zum Kult äußerst schmal.
Nicolas Wandschneider | 15.11.2022
Kultur oder Kult? Warum Unternehmen eine Identität brauchen © Freepik / tonodiaz
 

In der globalisierten Wirtschaft wird es für Unternehmen, gerade im schwierigen Kampf um die besten Talente, immer wichtiger, sich von Wettbewerbern zu unterscheiden. Das geht über die Produkte und Märkte. Doch wenn es auf diesen Ebenen kaum mehr Differenzierungsmerkmale gibt, kommt ein weitere, häufig unterschätzter Aspekt ins Spiel: die Unternehmenskultur.

Eine Studie der Personalberatung Heidrick Consulting hat 2021 ergeben, dass Vorstandschefs, die Unternehmenskultur mit Strategie verknüpfen, mit ihrer Organisation ein doppelt so hohes Wachstum erzielen wie andere Firmen. Zudem hat die Corona-Krise gezeigt, dass Unternehmen, die bei Ausbruch der Pandemie eine funktionierende Unternehmenskultur vorzuweisen hatten, flexibler waren und damit schneller und besser mit der neuen Situation umgehen konnten.

Die Unternehmenskultur ist also ein Erfolgsfaktor, auch aus der HR-Perspektive heraus. Die Frage, warum sich Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in Unternehmen wohl fühlen, Leistung bringen, dazu lernen und lange an Bord bleiben, hat auch damit zu tun, ob beide Seiten zusammenpassen, Corporate Culture spielt dabei die zentrale Rolle.

Was ist eine Unternehmenskultur?

Doch was genau bedeutet eigentlich Unternehmenskultur, bei dieser Frage scheiden sich seit eh und je die Geister. Die Unternehmenskultur ist eine Sammlung von Werten, Überzeugungen, ethische Grundlagen und Einstellungen, die eine Organisation charakterisiert und ihr Handeln leitet.

Bis zu einem gewissen Grad kann die Kultur einer Organisation in einem Mission Statement artikuliert werden. Doch zu den Elementen der Unternehmenskultur gehören auch die physische Umgebung der Organisation, die Führungsphilosophie und Hierarchie, Umgangsformen sowie Arbeitsgewohnheiten der Mitarbeiter, aber auch andere definierende Elemente wie Prozesse, Innovationen, Formen und Arten der Zusammenarbeit sowie gesellschaftliches und soziales Engagement.

Viele Organisationen bestimmen und entwickeln die Unternehmenskultur, indem sie gemeinsame Werte und Richtlinien möglichst tiefgehend formalisieren und fixieren. Andere lassen eine Kultur im Laufe der Zeit organisch und teils durch Zufall und Umstände entstehen. 

Woran scheitert eine Unternehmenskultur?

Für Unternehmer und Manager in Unternehmen ist der Weg zu einer Unternehmenskultur nicht nur weit, sondern birgt auch viele Fallen. Das hat auch damit zu tun, dass der Grat zwischen Kult und Kultur äußerst schmal ist. Denn bei dem Versuch, dem Unternehmen eine Einzigartigkeit zu verleihen, gehen viele Geschäftsführer, Vorstands- oder Gründerteams häufig zu weit. Dann kann aus einem beeindruckenden Team eine seltsame Gemeinschaft werden.

Denn Unternehmen dürfen niemals den Anschein erwecken, sie hätten sektenähnliche Strukturen. Dieser Eindruck entsteht aber, wenn die Gepflogenheiten, die mit der Kultur einhergehen, zu detailliert definiert sind, zu intensiv gelebt werden und sich Unternehmen und ihre Mitarbeiter nach außen hin nicht als funktionierende Einheit, sondern als geschlossene Gruppe präsentieren, die sich von allem anderen regelrecht abschottet.

Wenn die Kultur zum Kult wird

Es gibt zahlreiche Konzerne, denen eine Kultur nachgesagt wird, die diesen Kultcharakter hat. Das mag zunächst einmal gar nicht so schlecht klingen und danach, Mitarbeiter so möglichst eng an das Unternehmen zu binden. Doch wer diesen Bogen überspannt, gibt seinen Leuten kaum mehr Raum zur Entfaltung, engt sie ein, übt emotionalen Druck auf jene Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter aus, die nicht bereit sind, die Kultur bis ins letzte Detail zu leben.

Die Folgen können Ausgrenzungen von Mitarbeitern sein, ihre Entfremdung und letztlich die Kündigung. Zudem kann eine übertriebene, kult-artige Kultur dafür sorgen, dass Unternehmen die Work-Life-Balance aus dem Blick verlieren, weil die Arbeit über allem steht und individuelle Bedürfnisse zu stark in den Hintergrund gedrängt werden.

Abschottung und Ignoranz setzen Zukunftsfähigkeit aufs Spiel

Denn kult-artige Firmen sorgen oft dafür, dass die Grenze zwischen Beruflichem und Privaten verschwimmt, womöglich gar verschwindet. Eine Kultur droht „total“ zu werden, wenn Angestellte nur noch mit Kolleginnen und Kollegen ihr Wochenende verbringen, gemeinsam Sport treiben etc. Dann wird aus dem Vorteil, dass Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter gemeinsam Ziele anstreben, füreinander einstehen, ähnliche Werte teilen, ein Nachteil, denn die totale Kultur mündet in eine Ignoranz, die den inneren Zirkel über alle externen Einflüsse stellt.

Die Bildung und Wahrung, aber auch Fortentwicklung einer Kultur gehört für Unternehmen zu den wichtigsten Aspekten, um sich vom Wettbewerb zu differenzieren und um den Mitarbeitenden ein produktives, angenehmes Umfeld zu schaffen. Doch wer dabei zu weit geht und die Kultur zu einer Mauer werden lässt, die den inneren vom äußeren Kreis abgrenzt und den Beruf sowie die dort gültigen Regeln und Gewohnheiten auch ins Private überträgt, der geht zu weit – und setzt nicht nur die Gesundheit der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, sondern auch die Zukunft des eigenen Unternehmens aufs Spiel.

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Nicolas Wandschneider ist Geschäftsführer der Cloudbridge Consulting GmbH mit Sitz in München.