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Das war die Dmexco 2023

Intensive Diskussionen und zufriedene Aussteller in Köln.
Frank Puscher | 29.09.2023
800 Speaker, 150 Masterclasses und 650 Aussteller und Partner, so lautet das Fazit der Dmexco 2023 © DMEXCO
 

800 Speaker, 150 Masterclasses, 600 Aussteller und Partner. Die Messeleitung feiert den Erfolg der Dmexco 2023 zurecht. Das Event hat sich als Fixstern in der europäischen Veranstaltungslandschaft behauptet. Allerdings sind auch die Zeichen für eine Konzeptveränderung nicht zu übersehen.

„Durch die erfolgreiche Kooperation zwischen der Dmexco und der DigitalX haben wir es gemeinsam geschafft, an zwei Tagen fast 100.000 Multiplikatoren der Tech- und Marketing-Community in Köln zu versammeln und die Stadt zum digitalen Hotspot Europas zu machen,” freut sich Gerald Böse, Chef der Kölnmesse, die im nächsten Jahr ihr hundertjähriges Bestehen feiert.

Mit dem Zitat trifft Böse den Nagel auf den Kopf und legt zeitgleich den Finger in eine (kleine) Wunde. Wie viele Dmexco -Besucher wussten von der DigitalX und dem Auftritt internationaler Stars wie George Clooney in der Kölner Innenstadt? Und wie viele DigitalX-Besucher haben den Weg nach Deutz auf sich genommen, um der Dmexco einen Besuch abzustatten? Vielleicht hätte man eher von „Koexistenz“ als „Kooperation“ sprechen können. Aber immerhin: Das für beide Events gültige Ticket ist ein Schritt in die richtige Richtung. Und im Vergleich zu Großereignissen wie dem WebSummit in Lissabon spielt die Dmexco mit ihrem Pricing in einer ganz anderen Liga und das ist sehr positiv.

Die Dmexco will nicht Oktoberfest sein und das ist gut so. Natürlich hat man sich über den Erfolg der OMR geärgert und genau nach Hamburg geschaut, was man von dort übernehmen kann. Allerdings hat man spätestens in diesem Jahr auch gesehen, wo die Kölner eine Grenze ziehen sollten. Auf zahlreichen Gesprächen wurde ein Besuch der OMR im Jahre 2024 immer wieder hinterfragt. Zu voll sei es gewesen, Termine konnten nicht eingehalten werden, in manchen Teilveranstaltungen gab es keine Plätze mehr. Alle loben das gigantische Set-up, das Philipp Westermeyer und sein Team auf die Beine gestellt haben, aber viele fragen sich, ob es Business-relevant ist.

Eine „Messe“ im Umbruch

Auf den ersten Blick ging es in Deutz eher gemütlich zu. Die Hallen, Foyers und Gänge waren gut gefüllt, aber niemals gedrängt voll. Man ist in Sachen Besucherfrequenz noch nicht bei 2019 angekommen und die Frage darf gestellt werden: Will man das überhaupt? Das verschlankte Bühnenkonzept mit fünf Hauptbühnen war für die Teilnehmer viel transparenter als im Vorjahr. Durch die geringere Publikumsdichte in den Gängen konnte man sogar zwischen zwei Vorträgen die Bühne wechseln und kam nicht erst zum Schlussapplaus an.

Die Messe wandelt sich. Die Messestände werden kleiner, dafür wird dort mehr Programm geboten. „Aussteller“ würden lieber weniger oder gar nicht ausstellen und stattdessen auf Podiumsdiskussionen ihre Meinung verbreiten und in Masterclasses Leads einsammeln. „Wir sind mehr als Dienstleister gefordert“, hatte Messemacher Dominik Matyka bereits vor der Messe dem Fachblatt Meedia gesagt. Mehr Konferenz, weniger Messe?

Dietmar Rietsch, CEO von Pimcore, bringt es auf den Punkt: „Ein großes Dankeschön an die Dmexco, dass wir unser junges Unternehmen so ungewöhnlich und emotional präsentieren konnten – ganz außerhalb eines klassischen Messestandes. Das extrem positive Feedback der Besucher:innen auf unsere Almhütte spricht für sich. Die Dmexco 2023 war für uns ein Riesenerfolg.“

Mit 650 Ausstellern und Partnern konnte die Dmexco nach wie vor ein stattliches Set-up zeigen. Doch dabei waren viele Unteraussteller auf Gemeinschaftsständen vom Stile „ein Stehtisch“. Das Eigenmarketing auf vielen dieser Ministände hielt sich doch stark in Grenzen. Gelegentlich waren sie komplett verwaist.

Aber das macht nichts. Denn „Märkte sind Gespräche“. Von der ersten Minute an waren die Stuhlreihen vor den Bühnen und die Masterclasses voll besetzt. Der Wunsch und die Bereitschaft des Publikums, an Dialogen teilzuhaben oder solchen beizuwohnen, war unübersehbar.

Generative AI

Und es gab und gibt so viel zu diskutieren. Selten in den letzten Jahren wurden die Debatten so hitzig geführt. Zum Beispiel die Diskussion über „Responsible Advertising“ war im letzten Jahr eher geprägt von leisen Tönen. Man befinde sich in der Findungsphase. Man müsse erst genauere Zahlen haben etc.

Dagegen ging es dieses Jahr bei Generative AI und Retail Media richtig laut zu. Der Tenor bei Generative AI: Bitte nicht unterschätzen. Das Thema berührt fast jeden Bereich der digitalen Wertschöpfungskette. Ja, es wird Jobs kosten, vor allem in der Content-Produktion. Aber es wird auch neue schaffen. Googles Vice President Gaurav Bhaya, glänzte mit dem Bonmot der Messe: „Marketer konkurrieren nicht gegen die KI. Sie konkurrieren mit anderen Marketern, die KI einsetzen.”

Die DMEXCO kam für dieses Thema zum perfekten Zeitpunkt. Ein Großteil des Publikums und der Aussteller haben erste Gehversuche mit ChatGPT und Co. gemacht. Eine Branchen-Studie, der zufolge weniger als zehn Prozent der Marketer diese Tools in der täglichen Arbeitsroutine einsetzen, zeichnet hier wohl ein sehr vorsichtiges Bild. Vermutlich weiß manch Marketingleiter oder IT-Chef gar nicht, wie viele Mails seiner Mitarbeiter von ChatGPT formuliert oder von Deepl übersetzt werden. Welche Redaktion und welches Content-Team nutzt heute nicht eine Technologie wie Whisper, um Interviews zu transkribieren oder die Language-Tools, um Fehler in Texten aufzuspüren.

Aber die spannende Frage, die jetzt im Raum steht, ist: Wie nutzt man Generative AI sicher und transparent in einer Business-Umgebung. Hier hatte Salesforce eine Woche zuvor den Weg gezeigt: Sensible Daten werden automatisch aus Prompts entfernt, bevor diese an die KI übergeben werden. Ins fertige Ergebnis werden die Daten dann passend wieder eingestanzt. Das Ganze geschieht innerhalb der betrieblichen „Firewall“. Und für die inhaltliche Prüfung der KI-Ergebnisse zeichnet bis auf Weiteres der Mensch verantwortlich.

Es geht also nicht um das „Ob“, sondern um das „Wie“. Prozessoptimierung, Skalierung und Tools sind die Domäne der Dmexco.

Retail Media

Auch beim Thema „Werben mit dem Handel“ steht das Potenzial außer Frage. Gerade in einer Zeit der schindenden Daten dank Cookie-Verlust klammern sich die Advertiser an jeden Daten-Strohhalm. Die Daten der Retailer sind da, jetzt müssen sie nur noch operationalisiert werden.  Keine Frage des „Ob“, sondern des „Wie“.

Aber die Metapher wird dem Hype um Retail Media nicht gerecht. Um 22 Prozent soll dieser Markt in diesem Jahr wachsen, meint der OVK. Die Insights, die die Händler von ihren Kunden haben, werden immer besser. Und die Händler haben begonnen, technologisch aufzurüsten, um diese Daten auch versilbern zu können.

Nur ein Beispiel: OBI bietet seit dieser Woche einen Teil seines Instore-Inventars programmatisch an. Es geht vor allem um die großen Displays in den Eingangsbereichen. Sie werden über die SSP1 der One Tech Group dem Markt angeboten, inklusive der passenden Daten- und Audience-Segmente.

Und auch hier steht eine hoch spannende Frage im Raum: Werden Advertiser, die bei OBI nicht verkaufen, diese Fläche trotzdem buchen, zum Beispiel für eine Awareness-Kampagne. Nestlé könnte ein solcher Advertiser sein. Für die stellvertretende OWM-Vorsitzende Maike Abel, designierte Marketingleiterin von Nestlé in Deutschland, muss die Gattung noch einige Hausaufgaben machen, bevor sie richtig durchstarten kann: „Retail Media ist Media. Händler werden dabei zu Publishern und stehen damit in Konkurrenz zu allen bekannten Medienhäusern. Deshalb brauchen wir eine Vergleichbarkeit der Kanäle, Transparenz der Kennzahlen und eine Trennung zwischen Media- und Sales-Gesprächen.” Es braucht Standards, es braucht übergreifende Verbandsinitiativen, zumal sich Branchenriese Amazon gerade mit einem neuen Retail-Media-Angebot positioniert: Ab 1. Januar wird es auch bei Prime Video Werbung geben. Daten inklusive.

Und sonst

Tatsächlich nutzten einige Anbieter die Dmexco 2023 für die Präsentation von Produktneuheiten. Auch hier stach vor allem das Thema Retail Media heraus. Criteo gab die Partnerschaften mit DocMorris und Spotify bekannt. OBI wagte einen Einblick in das neue Self-Service-Tool für Agenturen. Und die Schwarz Gruppe zeigte ihre Angebote für die Werbebranche auf einem eigenen Stand. Lidl und Kaufland vermarkten - ähnlich wie OBI - unter anderem die Monitore im Eingangs- und Kassenbereich. Eine Mischung aus Retail Media und Digital-out-of-Home. Robert Jozic, der Geschäftsführer von Schwarz Media, meint: „Für Schwarz Media war es die erste Teilnahme an der Dmexco - zur richtigen Zeit. Wir begrüßen vor allem, dass die Veranstalter die Potenziale und die Relevanz des neuen Mediasegments Retail Media erkannt und alle notwendigen Partner, Werbungtreibende, Agenturen, Publisher und Vermarkter zusammengebracht haben.”

Gerade Händler mit großer Reichweite können DOOH-Flächen anbieten, selbst wenn die Nutzung der eigenen Retail-Media-Daten noch nicht vollständig implementiert ist. Unmittelbar vor der Dmexco zeigten der Berliner DOOH-Anbieter HYGH und der Drogeriemarkt Budnikowski ihre Idee vom digitalen Schaufenster der Zukunft.

Wenn man den Zahlen des OVK folgt, dann gibt es nur zwei aktuelle Wachstumssegmente im Werbemarkt: CTV und DOOH. Insgesamt stagnieren die Umsätze in der Digitalwerbung. Inflationsbereinigt erwartet der OVK sogar einen kleinen Rückgang. DOOH liegt im Trend, weil es einfach ist, damit zu starten. Share Now präsentierte ein Werbesystem, das über einen Beamer Werbung auf die hintere rechte Seitenscheibe des Fahrzeugs projiziert. Die Werbefläche wird am 15. Oktober programmatisch buchbar sein und ist in der ersten Welle in sechs Städten und 500 Share-Now-Fahrzeugen verfügbar. Grundlage einer Mediaplanung werden hier vor allem Standort und Uhrzeit sein. Das ist gelerntes Targeting.

Es blieb nur eine Disziplin auf der diesjährigen Dmexco hinter den Erwartungen zurück. Mit viel Verve hatte die Messeleitung das Thema Digital Fashion auf die Agenda geschrieben, aber das Publikum reagierte verhalten. Der Ausstellungsbereich war nur mäßig besucht. Das mag daran liegen, dass die Themen Metaverse, NFT und Blockchain im letzten Jahr sehr stark gehyped wurden und die Marketer jetzt etwas skeptisch geworden sind.

Und ein Bereich wurde schmerzlich vermisst: Ingame-Advertising. Dominik Matyka hatte im Vorfeld gesagt, man sehe nicht die großen Synergien mit der Gamescom. Aber das muss den Marktbeobachter verwundern. Es ist ja gerade die Games-Branche, die den Übergang in Richtung Metaverse schafft. Und die Branche ist erwachsen geworden. Es gibt standardisierte Formate (gerne abgeleitet aus DOOH) und es wird fleißig gemessen. Gerade hat zum Beispiel die L´Oréal-Marke Maybeline einen interessanten Case veröffentlicht. Man warb – erfolgreich – im Spiel The Sims. Satte vier Sekunden lang wurden die Werbemotive der Beauty-Marke betrachtet. Ein vergleichsweise hoher Wert.

Daraus folgt: Die Dmexco ist perfekt positioniert, straff organisiert und hat dauerhaft eine feste Rolle im Event-Kalender der Marketer. Der Messe obliegt es, in den nächsten Monaten zu prüfen, wie man den „Redebedarf“ der Aussteller so abdeckt, dass nicht ganze Bühnen mit PR-Talks bestückt werden. Eventuell muss man noch mehr Konferenz auf Kosten etwas weniger Messe machen.

Und man würde den Herren Böse und Matyka zurufen, doch nochmal intensiver auf DigitalX und Gamescom zuzugehen. Denn da steckt noch ganz viel Potenzial.

 

Impressionen:

Redebedarf auf der Media-Stage: Von Anfang bis Ende gut gefüllt zeigten sich die Stuhlreihen vor den Bühnen und in den Masterclasses - Credit Frank Puscher

 

Dominik Matyka: Das Thema Generative AI dominierte nicht nur die Bühnengespräche, sondern auch bei einigen Messeständen – Credit Frank Puscher

 

Gut besucht aber (Gott sei Dank) nicht überfüllt, zeigten sich die Messehallen und Außenbereiche der Kölnmesse – Credit Frank Puscher

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Frank Puscher ist Journalist mit über zwei Jahrzehnten Berufserfahrung.