Helvetismen: Don’t mess with Schweizerhochdeutsch
Wir Schweizer sind friedfertig. Früher, da haben wir als Reisläufer für den gekämpft, der am meisten bezahlte. Heute sind wir friedlich. Außer, wenn es um unsere Sprache geht. Da kann ein einzelnes Wort in einer Werbekampagne einen helvetischen Sprachstreit auslösen. Wie vor sechs Jahren, als der Detailhändler Coop mit dem Slogan „Das chame grille!“ („Das kann man grillen!“) für seine Bratwürste, Lammfilets und Spare Ribs warb. Gottfried Stutz, wir Schweizer sagen und schreiben „grillieren“, nicht „grillen“, gopf!
Selbst die Neue Zürcher Zeitung, Gralshüterin der deutschen Sprache in der Schweiz, grilliert. Obwohl sie viele Leserinnen und Leser in Deutschland hat, die „Abänderung“ („Wechseljahre“), „Natel“ („Mobiltelefon“) oder „zügeln“ („umziehen“) kaum auf Anhieb verstehen. „Grillieren“ oder „parkieren“ („parken“) gehören zum schweizerhochdeutschen Wortschatz und heißen Helvetismen. Schweizerhochdeutsch ist keine eigene Sprache, aber eine nationale Variante der deutschen Standardsprache, wie die Austriazismen in Österreich.
Im Dudenverlag gibt es ein Wörterbuch der Standardsprache in der deutschen Schweiz. Darin sind mehr als 3.000 Helvetismen aufgelistet, von „1.-August-Feier“ („Feier am schweizerischen Nationalfeiertag“) bis „Zwischenverpflegung“ („Zwischenmahlzeit“). Selbst im Band 1, „Die deutsche Rechtschreibung“, finden sich Helvetismen mit dem Zusatz „schweizerisch“. In die 27. Auflage wurden rund 100 Helvetismen wie „Familienschlauch“ („Familienanlass“, abwertend) oder „Flohnerleben“ („Leben ohne Anstrengung“) neu aufgenommen.
Vielleicht fragen Sie sich, warum es so wichtig ist, ob Sie in Ihrem nächsten Mailing an (potenzielle) Kundinnen und Kunden in der Schweiz „grillieren“ oder „grillen“ schreiben. Ist ja Hans wie Heiri, wie wir Schweizer statt Jacke wie Hose sagen. Aus meiner Sicht gibt es drei Gründe für Helvetismen:
1. Wir Schweizer lieben unsere Sprache. Auch wenn wir in der Öffentlichkeit nur selten dazu stehen. Wer das respektiert, gewinnt Sympathiepunkte.
2. Schweizer und Deutsche verbindet eine gemeinsame Sprache, aber Unterschiede in Kultur (Sprachwitz, Wortspiele) sowie Mentalität („Ich krieg ein Brötchen!“) trennen uns. Wer sich anpasst, ohne sich anzubiedern, gewinnt noch mehr Sympathiepunkte.
3. Schweizer Firmen setzen auf Swissness, wenn sie Produkte und Dienstleistungen ins Ausland verkaufen. Swissness funktioniert auch andersrum. Aldi und Lidl wachsen in der Schweiz stärker als der Markt. Nicht zuletzt, weil sie ihre deutschen Wurzeln nicht verleugnen, aber die Schweiz respektieren und „Aktionen“ statt „Sonderangebote“ in ihren Schweinebauchanzeigen bewerben - siehe Punkte 1 und 2!
Es gibt neben unterschiedlichen Begriffen für das selbe Ding auch den selben Begriff für unterschiedliche Dinge, zum Beispiel Paprika. Das Wort stammt aus dem Serbischen und ist im 19. Jahrhundert aus dem ungarischen in den deutschen Wortschatz übernommen worden. Die Deutschen verstehen unter Paprika die Frucht und das Gewürz, wir Schweizer nur das Gewürz. Die Frucht nennen wir Peperoni, ein Wort, das wir aus Italien entliehen haben. Viele Helvetismen leiten sich aus dem Italienischen und vor allem Französischen ab: „Trottoir“ für „Gehsteig“, „Gamelle“ für das Ess- und Kochgeschirr aus Metall, „Perron“ für „Bahnsteig“ …
Wenn Sie für Schweizer Kundinnen und Kunden schreiben, streuen Sie Helvetismen in Ihre Texte. Gezielt, wohldosiert, wohlüberlegt. Unabhängig davon, ob Sie für eine Schweizer oder deutsche Firma schreiben. Spielen Sie mit der sprachlichen Swissness. Mit diesen einfachen Tipps gelingt Ihnen das (besser), wenn Hochdeutsch Ihre Muttersprache ist:
1. Zeigen Sie Ihren Text einer Schweizer Kollegin oder einem Schweizer Kollegen und bitten Sie sie oder ihn, deutsche Begriffe durch Helvetismen zu ersetzen.
2. Schlagen Sie alle Helvetismen im Wörterbuch „Schweizer Hochdeutsch“ (s.o.) nach und prüfen Sie, ob Sie die deutschen Begriffe korrekt und fehlerfrei übersetzen. Das Wörterbuch gibt’s auch als durchsuchbares PDF, wenn Sie deutsche Begriffe nachschlagen wollen.
3. Verwenden Sie lieber einen Helvetismus zu wenig als einen zu viel. Zum einen merken wir, wenn Sie sich anbiedern wollen, zum anderen verliert das einzelne Wort an Kraft und Aufmerksamkeit, wenn wir es vor lauter Helvetismen nicht mehr sehen.
4. Ändern Sie die Spracheinstellung in Word unter „Extras auf „Deutsch (Schweiz)“, dann zeigt die Textverarbeitung neben Schreibfehlern auch alle „ß“ an, die deutsche Texte auf den ersten Blick verraten.
5. Falls Sie für den deutschen und für den Schweizer Markt schreiben, schreiben Sie zwei Sprachvarianten. Eine mit Helvetismen und eine ohne.
6. Falls Sie für den deutschen und für den schweizer Markt schreiben, aber keine Zeit oder kein Geld für zwei Sprachvarianten haben, schreiben Sie ohne Helvetismen.
Sie können es sich auch einfacher machen und Ihre Texte für den Schweizer Markt von einer Schweizer Texterin oder einem Schweizer Texter adaptieren oder schreiben lassen. Die kosten 40 bis 50 Prozent mehr als deutsche Texterinnen und Texter, dafür kennen sie die Kultur, die Mentalität sowie die Sprache in der Schweiz und treffen eher ins Schwarze. Eine Auswahl finden Sie auf der Website des schweizerischen Berufsverbandes.
Erinnern Sie sich noch an den Sprachstreit zu Beginn dieses Artikels? Leider hat Coop nichts daraus gelernt. Drei oder vier Jahre später titelte der deutsche Texter der Schweizer Agentur in einem Newsletter „Schlemmen auf Schweizer Almen“ und schrieb etwas von „Almhütten“. „Alm“ und „Almhütte“ sind nur wenigen Schweizerinnen und Schweizern geläufig, wir schreiben „Alp“ und „Alphütte“. Solche Fauxpas sind nicht tragisch, sie zeigen aber, wie wenig Texter und Unternehmen für die sprachlichen Befindlichkeiten der Schweizerinnen und Schweizer sensibilisiert sind. Außerdem verschenken sie Sympathiepunkte und, davon bin ich überzeugt, Umsatz.
Auf der Alm, da gibt's koa Sünd. Denkste! In der Schweiz heißt die Alm Alp, basta!
Übrigens: Eine ausführliche Liste mit Helvetismen finden Sie auf Wikipedia.
Schweizerhochdeutsch ist salonfähig
Selbst die Neue Zürcher Zeitung, Gralshüterin der deutschen Sprache in der Schweiz, grilliert. Obwohl sie viele Leserinnen und Leser in Deutschland hat, die „Abänderung“ („Wechseljahre“), „Natel“ („Mobiltelefon“) oder „zügeln“ („umziehen“) kaum auf Anhieb verstehen. „Grillieren“ oder „parkieren“ („parken“) gehören zum schweizerhochdeutschen Wortschatz und heißen Helvetismen. Schweizerhochdeutsch ist keine eigene Sprache, aber eine nationale Variante der deutschen Standardsprache, wie die Austriazismen in Österreich.
Im Dudenverlag gibt es ein Wörterbuch der Standardsprache in der deutschen Schweiz. Darin sind mehr als 3.000 Helvetismen aufgelistet, von „1.-August-Feier“ („Feier am schweizerischen Nationalfeiertag“) bis „Zwischenverpflegung“ („Zwischenmahlzeit“). Selbst im Band 1, „Die deutsche Rechtschreibung“, finden sich Helvetismen mit dem Zusatz „schweizerisch“. In die 27. Auflage wurden rund 100 Helvetismen wie „Familienschlauch“ („Familienanlass“, abwertend) oder „Flohnerleben“ („Leben ohne Anstrengung“) neu aufgenommen.
Drei Gründe für Schweizerhochdeutsch
Vielleicht fragen Sie sich, warum es so wichtig ist, ob Sie in Ihrem nächsten Mailing an (potenzielle) Kundinnen und Kunden in der Schweiz „grillieren“ oder „grillen“ schreiben. Ist ja Hans wie Heiri, wie wir Schweizer statt Jacke wie Hose sagen. Aus meiner Sicht gibt es drei Gründe für Helvetismen:
1. Wir Schweizer lieben unsere Sprache. Auch wenn wir in der Öffentlichkeit nur selten dazu stehen. Wer das respektiert, gewinnt Sympathiepunkte.
2. Schweizer und Deutsche verbindet eine gemeinsame Sprache, aber Unterschiede in Kultur (Sprachwitz, Wortspiele) sowie Mentalität („Ich krieg ein Brötchen!“) trennen uns. Wer sich anpasst, ohne sich anzubiedern, gewinnt noch mehr Sympathiepunkte.
3. Schweizer Firmen setzen auf Swissness, wenn sie Produkte und Dienstleistungen ins Ausland verkaufen. Swissness funktioniert auch andersrum. Aldi und Lidl wachsen in der Schweiz stärker als der Markt. Nicht zuletzt, weil sie ihre deutschen Wurzeln nicht verleugnen, aber die Schweiz respektieren und „Aktionen“ statt „Sonderangebote“ in ihren Schweinebauchanzeigen bewerben - siehe Punkte 1 und 2!
Paprika oder Peperoni?
Es gibt neben unterschiedlichen Begriffen für das selbe Ding auch den selben Begriff für unterschiedliche Dinge, zum Beispiel Paprika. Das Wort stammt aus dem Serbischen und ist im 19. Jahrhundert aus dem ungarischen in den deutschen Wortschatz übernommen worden. Die Deutschen verstehen unter Paprika die Frucht und das Gewürz, wir Schweizer nur das Gewürz. Die Frucht nennen wir Peperoni, ein Wort, das wir aus Italien entliehen haben. Viele Helvetismen leiten sich aus dem Italienischen und vor allem Französischen ab: „Trottoir“ für „Gehsteig“, „Gamelle“ für das Ess- und Kochgeschirr aus Metall, „Perron“ für „Bahnsteig“ …
Fazit, sechs Tipps und ein guter Rat
Wenn Sie für Schweizer Kundinnen und Kunden schreiben, streuen Sie Helvetismen in Ihre Texte. Gezielt, wohldosiert, wohlüberlegt. Unabhängig davon, ob Sie für eine Schweizer oder deutsche Firma schreiben. Spielen Sie mit der sprachlichen Swissness. Mit diesen einfachen Tipps gelingt Ihnen das (besser), wenn Hochdeutsch Ihre Muttersprache ist:
1. Zeigen Sie Ihren Text einer Schweizer Kollegin oder einem Schweizer Kollegen und bitten Sie sie oder ihn, deutsche Begriffe durch Helvetismen zu ersetzen.
2. Schlagen Sie alle Helvetismen im Wörterbuch „Schweizer Hochdeutsch“ (s.o.) nach und prüfen Sie, ob Sie die deutschen Begriffe korrekt und fehlerfrei übersetzen. Das Wörterbuch gibt’s auch als durchsuchbares PDF, wenn Sie deutsche Begriffe nachschlagen wollen.
3. Verwenden Sie lieber einen Helvetismus zu wenig als einen zu viel. Zum einen merken wir, wenn Sie sich anbiedern wollen, zum anderen verliert das einzelne Wort an Kraft und Aufmerksamkeit, wenn wir es vor lauter Helvetismen nicht mehr sehen.
4. Ändern Sie die Spracheinstellung in Word unter „Extras auf „Deutsch (Schweiz)“, dann zeigt die Textverarbeitung neben Schreibfehlern auch alle „ß“ an, die deutsche Texte auf den ersten Blick verraten.
5. Falls Sie für den deutschen und für den Schweizer Markt schreiben, schreiben Sie zwei Sprachvarianten. Eine mit Helvetismen und eine ohne.
6. Falls Sie für den deutschen und für den schweizer Markt schreiben, aber keine Zeit oder kein Geld für zwei Sprachvarianten haben, schreiben Sie ohne Helvetismen.
Sie können es sich auch einfacher machen und Ihre Texte für den Schweizer Markt von einer Schweizer Texterin oder einem Schweizer Texter adaptieren oder schreiben lassen. Die kosten 40 bis 50 Prozent mehr als deutsche Texterinnen und Texter, dafür kennen sie die Kultur, die Mentalität sowie die Sprache in der Schweiz und treffen eher ins Schwarze. Eine Auswahl finden Sie auf der Website des schweizerischen Berufsverbandes.
Einen hab ich noch …
Erinnern Sie sich noch an den Sprachstreit zu Beginn dieses Artikels? Leider hat Coop nichts daraus gelernt. Drei oder vier Jahre später titelte der deutsche Texter der Schweizer Agentur in einem Newsletter „Schlemmen auf Schweizer Almen“ und schrieb etwas von „Almhütten“. „Alm“ und „Almhütte“ sind nur wenigen Schweizerinnen und Schweizern geläufig, wir schreiben „Alp“ und „Alphütte“. Solche Fauxpas sind nicht tragisch, sie zeigen aber, wie wenig Texter und Unternehmen für die sprachlichen Befindlichkeiten der Schweizerinnen und Schweizer sensibilisiert sind. Außerdem verschenken sie Sympathiepunkte und, davon bin ich überzeugt, Umsatz.
Auf der Alm, da gibt's koa Sünd. Denkste! In der Schweiz heißt die Alm Alp, basta!
Übrigens: Eine ausführliche Liste mit Helvetismen finden Sie auf Wikipedia.