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Hyperpersonalisierung ist Bullshit

Leider ist der Begriff „Hyperpersonalisierung“ auf dem Weg, sich als Fachbegriff zu etablieren. Dabei ist es ein typisches Marketing-Buzzword.
Nils Hafner | 24.03.2025
Entwicklung des Trends bis 2027 © Nils Hafner
 

Leider ist der Begriff „Hyperpersonalisierung“ auf dem Weg sich als Fachbegriff zu etablieren. Dabei haben wir es mit einem typischem Marketing-Buzzword zu tun. Ein paar Gedanken dazu.

Anlässlich einer Keynote anlässlich des diesjährigen DDV-Treffens durfte ich den von Harald Henn und mir publizierten CEX Trendradar 2025 vorstellen. Eine unserer Erkenntnisse dabei: Der Begriff Hyperpersonalisierung ist Unfug. Die These löste unter den Anwesenden Direktmarketern Unruhe aus. Natürlich muss man das ein wenig begründen: Die Vorsilbe „hyper“ definiert der Duden folgendermaßen: Die Vorsilbe hyper- ist aus dem Griechischen entlehnt, verwandt mit dem lateinischen „super“ und bedeutet „über, über ... hinaus, übermäßig“, während hypo-, ebenfalls aus dem Griechischen stammend, verwandt mit lateinisch sub, die Bedeutung „unter, darunter“ hat. Eine Hyperpersonalisierung ist also eine „übermäßige Personalisierung“. Und das will im deutschsprachigen Gebiet nun wirklich niemand.

Mutti ist schuld!

Vor Jahren sind wir im Rahmen einer Auftragsforschung der Frage nachgegangen, warum Marketingmaßnahmen in Deutschland, Österreich und der Schweiz so unbeliebt sind. In etwa 100 Tiefeninterviews konnten wir einen kulturellen Zusammenhang feststellen. Mehr als zwei Drittel der Befragten hatten von ihrer Mutter einmal den Satz gehört „Mach bloß nicht die Tür auf, wenn ein Fremder davorsteht.“ Gefolgt von dem wunderbaren Satz „Der will dir ja nur was verkaufen“.  Haben Sie auch sicherlich schon gehört.

Nun ist es heute recht selten, dass einer vor der Tür steht. Apokryphe missionierende Glaubensrichtungen mal ausgenommen. Außerdem stelle ich mir immer wieder die Frage: „Was bitte ist denn so schlimm dran, wenn mir einer was verkaufen will. Der muss ja auch irgendwovon leben. Und ich kann ja Nein sagen.“ Doch genau das fürchten wohl die meisten in der DACH-Region, dass sie das nicht können. Und so ergibt sich kulturelles Unbehagen. Nun ist ja der Haustürverkauf selten geworden. Er wurde erst durch das Telefonmarketing ersetzt, und – nachdem dieses weitgehend gesetzlich reguliert wurde – durch das E-Mail-Marketing. Das ist nach wie vor erfolgreich und wird es  unserer Meinung nach noch lange bleiben. Denn ist ein Mail relevant für mich, dann bewahre ich es auf und kaufe das angebotene Produkt, sobald ich es brauche. Maßkonfektionierte Oberbekleidung, neue Automobile mit Stern oder Raute und Sonderangebote für Riesling – highly welcome.

Relevanz kostet – Automatisierung wird notwendig!

Personalisierung hat etwas mit Relevanz zu tun. Und die Relevanz steigt mit der Nutzung des zur Verfügung stehenden Wissens über den Kunden. Da man für eine manuell ausgelöste Personalisierung auf Basis vieler Kunden viele Mitarbeitende braucht, ist Personalisierung teuer. Es sei denn, man automatisiert. Da in den letzten Jahren viele Personalisierungsoptionen hinzugekommen sind –  wie das Wissen um den präferierten Touchpoint (einige Marketer sprechen immer noch von „Kanälen“ auch so ein Bullshit), präferierte Produktoptionen oder die klassischen soziodemographischen Daten – ist die Komplexität gewachsen. Man geht davon aus, dass heute ca. 500x mehr Daten in Unternehmen mit funktionierenden CRM-Systemen vorliegen als noch vor zehn Jahren. Das war der Anlass für die Begrifflichkeit „Marketing Automation“, die wir im CEX Trendradar fünf Jahre lang als Trend untersucht haben.

Personalisierung geht deutlich weiter als Marketing Automation. Wir verwenden daher den Begriff „Personalisation Automation“. Dies spiegelt besser wider, dass um die die personalisierte Automation entlang des gesamten Kundenlebenszyklus geht. Es handelt es sich um Softwarelösungen, die Marketing-, Vertriebs- und Customer Service-Prozesse automatisieren und aus verschiedenen Modulen wie z.B. Datenbanken, dem Controlling, dem operativen Ausspielen von Content via diversen Touchpoints, der Steuerung von verschiedensten Workflows und einer CRM-Integration bestehen. Der wesentliche Unterschied zu CRM- oder Kampagnen-Management-Systemen besteht darin, dass der Ablauf einer Kampagne automatisiert und personalisiert auf der Basis definierter Regeln erfolgt. Streng genommen kann man nicht von Kampagnen im klassischen Sinn sprechen, da diese immer linear vom Unternehmen zum Kunden verlaufen. Monologe sind jedoch nicht hilfreich. In unserem CEX-Trendradar gehen wir von regelbasierten Dialogen aus.

Lernende Dialoge als hoher Reifegrad

Ein wesentlicher Vorteil der Personalisation-Automation-Systeme ist es, lernende Dialoge zwischen Kunde und Unternehmen zu gestalten. Auf die Reaktion des Kunden kann das System mit neuen, individualisierten Ansprachen reagieren. Die Regeln laufen quasi unsichtbar im Hintergrund ab. Und durch das Lernen kommen laufend neue Regeln dazu. Um eine individuelle Ansprache zu erreichen, ist die Anbindung an die Customer Data Platform, das CRM-System oder die Kunden- oder Vertriebsdatenbank nötig. Ebenso ist eine Kopplung mit den Touchpoints notwendig, über die der Content ausgespielt werden soll. Auf der anderen Seite ist die Integration des Feedbacks der Kunden wichtig, um Ergebnisse der Kampagnen an den Touchpoints und Dialogstrecken messen zu können. „Dynamische Personalisierung“ heißt der Fachbegriff. 

Die Systeme erhalten immer mehr Funktionen. Gleichzeitig schaffen es die Anbieter ihre Systeme so zu gestalten, dass die Fachanwender in einem geführtem Dialog schrittweise von der Analyse des Kundenverhaltens, über die Content-Erstellung bis zur Ausführung und dem Controlling gelangen. Eine extreme Arbeits- und Zeitersparnis einerseits; eine Verlockung, die Systeme extensiv zu nutzen andererseits. Wir sehen leider viele rein produktbasierte Personalisierungskampagnen. Da Kunden grundsätzlich positiv auf personalisiere Ansprachen reagieren, zeigen die Ansprachen auch betriebswirtschaftlich Wirkung. Kreative Ansätze in den Personalisierungs-Kampagnen wären trotzdem wünschenswert. Die Freiräume, die Software-Systeme schaffen, sollten die Anwender zum Ausprobieren nutzen.

Wie entwickelt sich der Trend?

Kunden erwarten von der Personalisierung die Anerkennung ihres Wertes für das Unternehmen, die Unterstützung bei der Nutzung der von ihnen gekauften Produkte und die Empfehlung besserer Lösungen. Wenn Kunden nach einer Lösung für eine bestimmte Aufgabe suchen, dann sollte eine personalisierte Kommunikation auf dem Weg zum Kauf nicht nur dazu beitragen, dass sie ihre Ziele besser erreichen, sondern auch die Wahrscheinlichkeit und den Wert ihrer Käufe für das Unternehmen erhöhen.

Die Technologie ist bereits auf hohem Stand. Anwenderfreundlich ist sie auch. In den kommenden Jahren werden wir durch AI eine Entwicklung hin zu dynamischer, kontextbezogener Personalisierung erleben. AI-gestützte Personalisierung nutzt Echtzeitdaten und Algorithmen für maschinelles Lernen, um individualisierte Inhalte und Angebote bereitzustellen. Zukünftige Kundenaktionen und -Bedürfnisse werden von künstlicher Intelligenz auf der Grundlage historischer Daten prognostiziert. Alles wird in Echtzeit ablaufen, was eine erhebliche Anforderung an das Management und die Steuerung darstellt.

Zurück zur „Hyperpersonalisierung“: Man erkennt Marketing-Bullshit oft daran, dass diese Vorsilbe ohne Sinn und Verstand gebraucht wird. Was mich wirklich überrascht, ist, dass Marketers häufig versuchen, einen solchen Begriff im Nachhinein zu rationalisieren. Zeigt aber auch, welch erbärmlichen Sprachverstand einige Fachleute haben. Dabei sollte Marketing sich gerade durch den sehr bewussten und präzisen Einsatz von Sprache auszeichnen. Ansonsten könnte sich das als Hypothek erweisen.

Img of Nils Hafner

Prof. Dr. rer. pol. Nils Hafner ist gefragter Experte für den Aufbau profitabler Kundenbeziehungen sowie erfolgreicher Speaker und Dozent.

Kommentare

Martin Philipp

Wenn man es genau nimmt, was du machst ;-), ist eigentlich auch der Begriff "Marketing Automation" nicht korrekt bzw. müsste Stand heute überdacht werden. Weil die personalisierte Kommunikation entlang der Customer Journey nicht nur ein Marketing Thema ist. Und "Marketing Automation" bzw. die Marketing Automation Technologien sind in der Lage eine 360 Grad Kommunikation abzubilden, daher müsste es eigentlich eher "Customer Experience Automation" heißen, oder so ähnlich. Wie siehst du das?